Türkische Medien: Justiz ermittelt gegen HDP-Chef

Selahattin Demirtas
Chef der pro-kurdischen Partei wird Anstachelung zu bewaffneten Protesten vorgeworfen.

Inmitten der türkischen Militäroffensive gegen Anhänger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gerät nun der Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP ins Visier der türkischen Justiz. Während die Luftwaffe am Donnerstag erneut Stellungen der in der Türkei verbotenen PKK im Nordirak attackierte, leitete die Staatsanwaltschaft laut Berichten Ermittlungen gegen den Selahattin Demirtas ein.

Der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge wird gegen den HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Anstachelung zur Gewalt ermittelt. Sollte es zu einem Prozess kommen, drohen Demirtas bis zu 24 Jahre Haft. Zudem wurden am Donnerstag im Südosten der Türkei bei mutmaßlichen PKK-Anschlägen fünf Menschen getötet.

Gewalt bei Demo im Oktober 2014

Offizieller Hintergrund der Ermittlungen gegen Demirtas sind die gewaltsamen Proteste im Oktober 2014, bei denen mindestens 30 Menschen getötet wurden, darunter zwei Polizisten. Andere Quellen berichten von mindestens 35 bis 40 Toten. Aus Wut darüber, dass die Regierung in Ankara den von der dschihadistischen Organisation "Islamischer Staat" (IS) bedrängten Kurden in Syrien nicht militärisch zu Hilfe kam, gingen Kurden sowie Sympathisanten der Kurden in Syrien auf die Straße. In mindestens 35 der insgesamt 81 türkischen Provinzen ist es laut damaligen Angaben aus Ankara zu Ausschreitungen gekommen.

Demirtas warf der Regierung in Ankara am Donnerstag vor, dass deren Angriffe auf die IS-Jihadisten nur ein Vorwand seien, um gegen die PKK vorzugehen. Erdogan schüre den Konflikt auch, um die HDP zu schwächen und der AKP bei möglichen Neuwahlen einen politischen Vorteil zu verschaffen, sagte Demirtas der Nachrichtenagentur AFP. Er rief die Regierung und die PKK dazu auf, ihre Angriffe sofort einzustellen und am Friedensprozess festzuhalten.

AKP verlor Mehrheit

Die pro-kurdische HDP von Demirtas hatte bei den jüngsten Parlamentswahlen am 7. Juni erstmals die Zehn-Prozent-Hürde überwunden und zog ins türkische Parlament ein. Die regierende islamisch-konservative AKP verlor demgegenüber ihre absolute Mehrheit. Dem Wunsch von Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Aufbau eines Präsidialsystems in der Türkei wurde vorerst ein Strich durch die Rechnung gemacht. Erst am Dienstag hatte Erdogan gesagt, es könne seiner Ansicht nach gegen einzelne Parteimitglieder der HDP vorgegangen werden, die Verbindungen zu "Extremisten" hätten.

Der HDP wird von Kritikern - insbesondere auch von der AKP und Präsident Erdogan - immer wieder der Vorwurf gemacht, der PKK nahezustehen. Experten, wie etwa der türkische Soziologe Bülent Kücük, sprechen zwar von einer politischen Affinität zwischen der HDP und der PKK, bezeichnen die beiden Parteien aber als voneinander unabhängige politische Bewegungen.

Die Kurden im Nordirak fürchten einen Flächenbrand in der Region im Falle anhaltender Luftangriffe der Türkei. Er sei traurig, dass die Türkei und die PKK den Friedensprozess beendet hätten, sagte der Bürgermeister im nordirakischen Erbil, Nihad Latif Koja, am Donnerstag im RBB-Inforadio. "Wir brauchen keinen weiteren Krieg", sagte er mit Blick auf den Kampf der Kurden gegen die IS-Jihadisten.

Erneut Kämpfe

Ein Ende der Gewalt war trotz der Friedens-Appelle weiter nicht in Sicht: Die türkische Luftwaffe weitete ihre Angriffe auf die PKK am Donnerstag offenbar aus. 30 türkische Kampfjets bombardierten PKK-Stellungen im Nordirak, wie türkische TV-Sender berichteten. Die Armee habe Vergeltung geübt für einen mutmaßlichen PKK-Anschlag auf einen Militärkonvoi im Südosten der Türkei, hieß es.

Die PKK-Angriffe sind die jüngsten in einer Serie von Attacken gegen Polizisten und Soldaten, bei denen laut Behörden bisher insgesamt elf Sicherheitskräfte getötet wurden. Nach Angaben der Zeitung "Hürriyet" wurden durch die Luftangriffe seit der vergangenen Woche bisher 190 PKK-Kämpfer getötet und 300 verwundet. Die Regierung wollte dazu keine Angaben machen.

Der Konflikt zwischen dem Staat und den Kurden war nach einem Anschlag auf ein pro-kurdisches Treffen mit 32 Toten am Montag vergangener Woche eskaliert. Die PKK wies der Regierung eine Mitschuld an dem Anschlag zu, für den Ankara IS-Anhänger verantwortlich machte. Die PKK griff deshalb Sicherheitskräfte an. Bisher bekannten sich die IS-Anhänger nicht zu dem Attentat.

Die türkische Regierung nimmt indes die PKK offenbar stärker ins Visier als den IS. Auch bei der Festnahmewelle in der Türkei gegen "Terroristen", worunter die Regierung PKK-Anhänger ebenso wie IS-Extremisten versteht, waren kurdische Aktivisten das Hauptziel.

Die türkischen Angriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak haben Fragen nach der Zukunft des delikaten Friedensprozesses zwischen der Türkei und den militanten Kurden aufgeworfen. Seit 2013 hatten beide Seiten bis vor Kurzem eine Waffenruhe weitgehend eingehalten.

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