Eine zweite Front im Westen?

Machtdemonstration in Kiew: Nationalistenführer Jarosch spricht von einer neuen Stufe der Revolution
Nach Kämpfen in der Westukraine fordert der Rechte Sektor den Rücktritt der Regierung.

Die alltäglichen Scharmützel in der Ostukraine sind Routine geworden – solange die Totenzahlen im täglich einstelligen Bereich bleiben.

In der Westukraine hat sich dieser Krieg bisher vor allem durch Begräbnisse Gefallener und unbeliebte Rekrutierungswellen bemerkbar gemacht. Kaum jemand sieht einen Sinn darin, für den Donbass sein Blut zu lassen.

Aber seit etwas mehr als einer Woche ist der Krieg als solches auch im Westen angekommen. In der Stadt Mukatschewe nahe der ungarischen Grenze gab es schwere Gefechte mit mehreren Toten. Kämpfer des Rechten Sektors, ein nationalistisches Freikorps, hatten den Sportclub des lokalen Parlamentsabgeordneten Michail Lano gestürmt – in voller Kampfmontur und mit schweren Waffen. Der Rechte Sektor sagt, man habe den Abgeordneten, der den Ruf genießt, eine kriminelle Autorität im Grenzschmuggel zu sein, festnehmen wollen. Zweifler sagen, die Kämpfe seien wohl eher wirtschaftlich motiviert gewesen. Konkret: Der Rechte Sektor wolle mitschneiden am Schmuggel.

Nachdem mehr als ein Dutzend Kämpfer in die Wälder gezogen war, ist die Region im Ausnahmezustand. Panzer auf den Straßen, Checkpoints. Im nahen Lemberg explodierten zwei Bomben – mit unbekanntem Hintergrund. Vor allem aber spalten die Vorkommnisse die Geister – in jene, die die Kämpfer als "Robin Hoods der Karpaten" feiern und jene, die hinter den Kämpfen reines Banditentum sehen.

Den Ernst der Lage verdeutlicht der Umstand, dass Präsident Petro Poroschenko umgehend den bisherigen Gouverneur der ostukrainischen Kriegsregion Lugansk, Gennadij Moskal, zum Gouverneur der betroffenen westukrainischen Region Transkarpatien machte. Seither wimmelt es entlang der Schnellstraßen der Region vor Staatsorganen von Drogenfahndung über Geheimdienst bis Steuerfahndung. Offiziell heißt es, um gegen Schmuggel zu kämpfen.

Es geht aber vor allem darum, Präsenz zu zeigen. Denn im Zuge der Kämpfe hatte der Staat massiv Zerfallserscheinungen gezeigt. Da mischten bei den Kämpfen etwa aufseiten der Polizei plötzlich Zivilisten mit AKs mit, die keinem Sicherheitsdienst, sondern eher mafiösen Strukturen zuzurechnen waren. Und seit der Eskalation ist es eher der Rechte Sektor, der die Regierung vor sich hertreibt als umgekehrt.

Ruf nach ReferendumAm Dienstag marschierten in Kiew Hunderte Anhänger der Miliz mit Forderungen auf: Abhaltung eines Referendums, in dem Parlament und Regierung das Misstrauen ausgesprochen werden, Ausrufung des Ausnahmezustandes, die Qualifizierung der von der Ukraine als Antiterror-Operation eingestuften Kämpfe im Osten als Krieg mit Russland, Legalisierung der Freiwilligen-Bataillone. Der Anführer des Rechten Sektors, Dmitro Jarosch, sagte, dass man die Revolution auf eine neue Stufe hebe.

Bisher hatte der Rechte Sektor die direkte Konfrontation mit den Behörden vermieden und sich als außenstehender Hüter von Recht und Ordnung gebärdet – recht erfolgreich. Hatten sich etwa in den vergangenen Monaten alle Freiwilligeneinheiten unter staatliches Kommando begeben, so tat das der Rechte Sektor nicht. Während Jarosch Berater des Generalstabs der Armee ist. Seit der Schießerei in Mukatschewe aber wackelt das so sorgsam gepflegte Selbstbild der "edlen Patrioten" auch in der Anhängerschaft. Die Folge: Austritte und offene Kritik an Jaroschs Vorgehen.

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