Angela Merkels "historische Bewährungsprobe"

Interne Kritik wächst, von rechts droht Konkurrenz – Merkel versucht kleinen Befreiungsschlag.

Der Satz wirkt ein wenig, als wäre er auf sie selbst gemünzt. Die Flüchtlingsfrage sei eine "historische Bewährungsprobe", sagte Angela Merkel am Donnerstag. Erstmals seit Beginn der Krise erklärte sie sich vor dem deutschen Bundestag.

Die Antworten, die sie gab, galten eindeutig ihren Kritikern. Denn der Druck auf sie wächst – und zwar unaufhörlich. Am Vorabend hatten sächsische CDU-Mitglieder sie mit "Schämen Sie sich!"-Rufen empfangen, im Publikum war ihr ein "Entthront Merkel"-Schild entgegengehalten worden – eine denkwürdige Sitzung, denn solchen Unmut ist die Kanzlerin nicht gewohnt. In der Partei macht zudem ein Brandbrief die Runde, den mittlerweile mehr als 120 Mitglieder unterzeichnet haben – sie werfen Merkel Planlosigkeit vor, wünschen sich, was auch CSU-Chef Seehofer fordert: eine Obergrenze der Flüchtlingszahlen, dazu ein klares "Stopp!"-Signal Merkels.

Fernduell mit Seehofer

Dass sie darauf nicht eingehen wird, machte Merkel am Donnerstag jedoch abermals klar. Ihre Rede wirkte wie ein kleiner Befreiungsschlag: "Es gibt ihn nicht, diesen Schalter, den wir einfach umlegen können", sagte sie mit entschlossener Miene, gerichtet vor allem an ihren schärfsten Kritiker aus Bayern. Der hielt – gleich einem Fernduell – parallel zu ihr eine Rede in München. Darin verwies er unter ungewohnt wenig Polterei erstmals auf die eigene Machtlosigkeit. "Niemand anders ist für das Zuwanderungsrecht zuständig als der Bund", so Seehofer – denn Bayern kann ohne den Sanktus des Bundes weder einen Asylstopp ausrufen noch die Grenzen schließen.

Seehofer macht auch deshalb Druck, weil ihm Gefahr von rechts im Nacken sitzt. Er kann aus der Krise kaum Kapital schlagen, Zuwächse verzeichnet derzeit nur die AfD. In Umfragen liegt sie bei sieben Prozent, in Bayern gar bei neun – die CSU befürchtet, dass die Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl 2017 zweistellig werden. Und auch in Berlin befürchtet man ein Erstarken einer Partei à la FPÖ – was ein völliges Novum für Deutschland wäre.

Merkel gibt sich dennoch unbeirrbar – und fährt, wie stets, auf Sicht. Seehofer gestand sie als Beruhigungspille die Transitzonen an der Grenze als Option zu; und was den Rückhalt angeht, scheint sie sich ohnehin nicht zu sorgen. Ihre Fraktion applaudierte ihr – allen Kritikern zum Trotz – so lange, dass sie selbst schmunzeln musste. In der Partei weiß man, dass man die Kanzlerin als Zugpferd nach wie vor braucht. Umgekehrt ist das nämlich nicht unbedingt so: Auch SPD und vor allem die Grünen klatschten heftig für Merkels Politik – etwas, was vor der Flüchtlingskrise auch nicht gerade oft passierte.

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