Wiens Kehrtwende setzt Merkel zu

Mit Österreich ist der letzte Verbündete der deutschen Kanzlerin weggebrochen – sie kritisiert die neue Obergrenze zwar, bleibt aber stur. Die CSU macht Druck.

In Kreuth hat man die Nachrichten aus Österreich mit einem zufriedenen Lächeln aufgenommen. Der Zufall hätte schließlich nicht besser Regie führen können: Dass Österreich nur ein paar Stunden vor Angela Merkels Auftritt bei der dortigen CSU-Klausur beschlossen hat, sich dem Kurs der Bayern anzunähern (mehr dazu hier), passt der CSU perfekt. Obergrenzen, Zäune, Zurückweisungen – all das wünscht man sich schon lange von der Kanzlerin.

"Die Österreicher machen’s. Also müssen wir es auch machen", sagte Generalsekretär Andreas Scheuer kurz und knapp. Häme ersparte er sich, zumindest vorerst – dass mit Werner Faymann Merkels nun ein weiterer Verbündeter wegbricht, ist auch ohne Spott Wasser auf die Mühlen der CSU.

Tatsächlich wird es langsam einsam für die deutsche Kanzlerin, national wie auf EU-Ebene. Vor zwei Monaten hatte Faymann noch an ihrer Seite erklärt, es gebe "keine einfachen Lösungen" und man schaffe das nur gemeinsam; jetzt steht die einst unangefochtene Tonangeberin in Brüssel recht alleine da – denn auch die Schweden, die neben Österreich auch stets an der Seite der Deutschen gestanden hatten, versagen Merkels Kurs der Offenheit seit Kurzem ihre Unterstützung.

Keine Konfrontation

Sie selbst rückt deshalb immer weiter in die Defensive. Öffentlichen Auftritt im Fernsehen zur Thematik gab es schon lange keinen mehr, offene Auseinandersetzungen versucht die Parteispitze zu umgehen, zu sehr fürchtet man weiteren Schaden neben dem, der schon angerichtet ist – etwa das Absacken in der Wählergunst. Diese Vorsicht merkt man auch an der Reaktion der Kanzlerin selbst: Bei ihrem Eingangsstatement im bayerischen Kurort erwähnt sie Österreich mit keinem Wort, sagt nur das, was man immer von ihr hört– sie suche nach wie vor "eine europäische Lösung". Erst später dringen aus dem CSU-Fraktionsräumen, in die man sich mit ihr zur Beratung zurückgezogen hat, deutlichere Worte: Dort soll sie die österreichische Obergrenze durchaus kritisiert haben, berichten Teilnehmer – weil sie die Verhandlungen mit der Türkei erschwere, die am Freitag anstehen. Aber deshalb eine offene Konfrontation mit Österreich riskieren? Das will man vermeiden, so scheint es.

Kein Öl ins Feuer

Zurückhaltend gaben sich aber auch die Merkel-Kritiker in der CDU . Finanzminister Schäuble, der zuletzt immer wieder Spitzen gegen sie losgelassen hatte, ließ sich nicht zu einem Kommentar hinreißen, zu sehr würde das die angeschlagene Autorität Merkels schwächen. Er sagte nur so viel: "Ich könnte dasselbe sagen wie die Kanzlerin – das wäre langweilig. Oder ich sage das Gegenteil – das wäre dumm." Er warnte nur, dass ein Hochziehen der Grenzen negative Auswirkungen auf Schengen und den Euro haben könnte. Konkreter wurde man auch im Kanzleramt nicht: "Welche Auswirkungen sich irgendwann möglicherweise ergeben, das werden wir dann beurteilen, wenn es so weit ist", so die vage Aussage von Peter Altmaier, Merkels Flüchtlingskoordinator. So viel Geduld hat man in Kreuth allerdings nicht. Noch vor Merkels Eintreffen hat die CSU einen Zwölf-Punkte-Plan beschlossen, der ähnlich aussieht wie die Pläne Österreichs: Nur mehr 200.000 Flüchtlinge pro Jahr und eine Zurückweisung jener, die aus sicheren Drittstaaten wie Österreich kommen, so die Wünsche. Dass sie die erfüllen wird, erwartet in Kreuth aber niemand. Die CSU setzt deshalb weiterhin darauf, Merkel weichzuklopfen – sei es auch mit Drohungen: "Wir wollen mit Dir eine Lösung", ließ Parteichef Seehofer sie vor ihrem Auftritt wissen. Nachsatz: Die Betonung liegt aber auf: ,Wir wollen eine Lösung‘."

Die Ankündigung Österreichs, Obergrenzen für Flüchtlinge einzuführen, hat den Kritikern der Flüchtlingspolitik in Deutschland Auftrieb verliehen. So sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), dem Kölner Stadt-Anzeiger (Donnerstag): "Ich begrüße die Vorgehensweise Österreichs".

Die österreichischen Pläne seien ein "deutlicher Fingerzeig, dass auch wir nicht mehr so weiter machen können wie bisher", so Mayer.

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sagte: "Wenn Ende März auch bei uns die Zahl der Ankommenden wieder steigt und wir eine Entwicklung wie im vorigen Jahr bekommen, wird Deutschland seinen Kurs korrigieren müssen."

Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) forderte dazu auf, das Signal aus Österreich "sehr ernst" zu nehmen. "Es ist jetzt eine echte Brücke, denn wenn Österreich eine solche Obergrenze beschließt, muss Deutschland auch eine solche Obergrenze beschließen", sagte er dem RTL Nachtjournal am Rande der CSU-Winterklausur in Wildbad Kreuth. "Deswegen ist es jetzt wichtig, dass wir die europäische Einigung erreichen und zwar dadurch, dass wir alle in Europa den gleichen Weg gehen. Der heißt: Begrenzung der Zuwanderung mit einer Obergrenze."

Seehofer enttäuscht

CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich nach dem Merkel-Auftritt enttäuscht. "Es gab keine Spur des Entgegenkommens. Wir gehen da politisch auf schwierige Wochen und Monate zu." Er schloss jedoch aus, dass die CSU die Koalition aufkündigen werde. Die CSU wolle weiterhin "in die CDU hineinwirken", sagte Seehofer in den ARD-Tagesthemen.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nannte die Ankündigung aus Österreich einen Hilferuf. Er mache klar, dass Deutschland, Schweden und Österreich die Flüchtlinge nicht alleine aufnehmen könnten. "Umso dringlicher ist es jetzt, endlich für sichere Außengrenzen zu sorgen", sagte Oppermann dem Kölner Stadt-Anzeiger (Donnerstag). Das müsse bald passieren: "Sonst zerbricht Europa."

Warnung vor "Scheinlösungen"

SPD-Parteivize Ralf Stegner warnte erneut vor "Scheinlösungen". Die CSU vermittele den falschen Eindruck, man könne einfach einen Schalter umlegen und den Flüchtlingszustrom begrenzen. "Es macht doch keinen Sinn, öffentlich ständig über Plan B, C oder D zu spekulieren. Wir müssen gemeinsam Antworten finden", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Die von Österreich angekündigte Obergrenze ist aus seiner Sicht kein Vorbild für Deutschland. Grenzschließungen lehnt die SPD ebenfalls ab. "Europas starke Wirtschaft hängt von offenen Grenzen ab", sagte Stegner.

Ähnlich Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann, der als Folge der österreichischen Pläne eine "empfindliche Beeinträchtigung" des Verkehrs erwartet. "Wir müssen jetzt abwarten, wie sich die Lage in Österreich entwickelt", sagte der CDU-Politiker der Neuen Osnabrücker Zeitung. Noch stärkere Folgen hätte es, falls Italien die Grenzen schlösse, warnte Ferlemann. "Am Brenner würden sich aufgrund des weitaus größeren Warenverkehrs riesige Schlangen bilden." Der Staatssekretär zeichnete allerdings düstere Szenarien für den Fall, dass Deutschland seinerseits die Grenzen schließe. Dieser "Rückfall in die 60er-Jahre" würde für Deutschland als Exportnation sehr teuer werden und Europas Freizügigkeit völlig infrage stellen, was auch Pendler hart träfe, warnte Ferlemann.

FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sieht die Kanzlerin nach dem Vorstoß Österreichs unter Zugzwang: "Die Entscheidung zwingt die Bundeskanzlerin, Farbe zu bekennen", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Frau Merkel muss uns nun erklären, warum Österreich eine solche Grenze einführen kann, Deutschland aber nicht. Das führt doch ihre sämtlichen Erklärungen ad absurdum."

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