Parlament: Erdogan gegen Kurdenpolitiker
Recep Tayyip Erdogan macht keinen Hehl daraus, was er von der Kurdenpartei HDP hält. Als "Vertreterin einer Terrororganisation" bezeichnete der Präsident die HDP, die mit 59 Abgeordneten im Parlament von Ankara immerhin die drittstärkste Fraktion in der Volksvertretung bildet, in einer kürzlichen Rede. Im kleinen Kreis soll er noch deutlicher geworden sein und von "Terroristen im Parlament" gesprochen haben – weil die HDP die Ziele der Rebellengruppe PKK vertrete. Jetzt will Erdogan die Kurden aus dem Parlament werfen.
Dienstagnachmittag trat das Parlament zu einer denkwürdigen Sitzung zusammen. Die Führung von Erdogans Regierungspartei AKP rief alle ihre Abgeordneten auf, sich an den Abstimmungen zu beteiligen: Die AKP will eine Verfassungsänderung durchsetzen, mit der die Immunität aller 550 Abgeordneten für bereits vorliegende Strafverfahren aufgehoben wird. Mit anderen Worten: Abgeordnete sollen vor Gericht gestellt und verurteilt werden können.
Es ist kein Zufall, dass die HDP die Hauptbetroffene ist: Gegen 50 ihrer 59 Parlamentarier wird ermittelt; auch die Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sollen vor Gericht. Zwar haben Staatsanwälte auch Akten gegen mehr als 20 AKP-Abgeordnete zusammengetragen, doch die türkische Justiz ist mittlerweile so weit mit Erdogan-Gefolgsleuten besetzt, dass vor allem juristischer Eifer gegen die HDP erwartet wird.
"Staatsstreich"
Demirtas sprach von einem "Staatsstreich gegen das Volk", weil gewählte Mandatare vor die Richter sollen. In einem Brief an europäische Spitzenpolitiker wie EU-Parlamentspräsident Schulz beklagten Demirtas und Yüksekdag einen "totalitären Angriff" auf die parlamentarische Demokratie. Die AKP sieht den Vorstoß dagegen als einmalige Ausnahme, die nicht mit einer völligen Aufhebung der Immunität gleichgesetzt werden könne. So dürfen nur Ermittlungen vor Gericht gebracht werden, die vor der Entscheidung des Parlaments am Freitag von der Justiz bei der Volksvertretung gemeldet werden.
Sollten Demirtas und andere HDP-Politiker wegen Unterstützung der PKK verurteilt werden, könnte die Kurdenpartei nicht einfach neue Abgeordnete nachschieben: Die Mandate würden neu vergeben – eine Chance für die AKP, ihren eigenen Stimmenanteil im Parlament weiter auszubauen und Erdogans Wunsch nach Verfassungsänderungen zur Einführung eines Präsidialsystems zu erfüllen.
Große Nervosität
Zunächst einmal muss sich die AKP jedoch die Mehrheiten für die Aufhebung der Immunität besorgen. Bei der ersten Abstimmungsrunde am Abend stimmten 348 Abgeordnete dafür, um 19 Stimmen für die notwendige Zweidrittel-Mehrheit zu wenig. Die entscheidende Abstimmung findet am Freitag statt.
Ein Scheitern der Vorlage wäre eine herbe Niederlage für Präsident Erdogan. Es steht für alle viel auf dem Spiel.
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