Einwanderer in Irland: "Bin jung, will etwas erreichen"
Nach zwei Stunden in der Warteschlange vor einem Lebensmittelgeschäft in ihrer Heimatstadt Caracas beschloss Jessica Mavare auszuwandern. "Ich dachte mir, ich habe einen Uni-Abschluss, ich bin jung, ich will etwas erreichen. In Venezuela habe ich keine Zukunft." Sie erwog, in die USA zu gehen. Doch dafür waren die Visa-Vorgaben zu streng. In Europa gab es nur ein Land, das ihr problemlos eine Arbeitsgenehmigung erteilte: Irland.
Irland ist eines der wenigen EU-Länder, in dem sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten keine politische Anti-Einwanderungsbewegung formiert hat – im Gegensatz etwa zu Frankreich (Front National), Großbritannien (UKIP) und Österreich (FPÖ). Dabei leben hier gemessen an der Gesamtbevölkerung drei Mal mehr Menschen, die im Ausland geboren wurden, als im Rest der EU.
Viel Sympathie
"Irland ist historisch ein Auswanderungsland. In den 50er- und 80er-Jahren gab es große Emigrationswellen. Daher findet sich viel Sympathie für Menschen, die ihre Heimat verlassen haben", erklärt der Dubliner Migrationsforscher Alan Barrett. "Ein großer Teil der Iren hat Familienmitglieder, die ausgewandert sind, vor allem in die USA und nach Großbritannien. Ein anderer großer Teil hat selbst im Ausland gelebt."
Ende der 90er-Jahre wurde das damals wirtschaftlich boomende Irland vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland. Als 2004 die EU nach Osten erweitert wurde, war die Regierung neben der britischen und schwedischen die einzige, die keine Schranken für Zuwanderer aus den neuen Mitgliedsländern errichtete. Hunderttausende strömten ins Land, die meisten aus Polen.
Zunächst fühlte sich auch Wojtunik sehr willkommen. Doch das änderte sich, als Irland 2008 in eine schwere wirtschaftliche Krise stürzte und die Arbeitslosigkeit auf fast 15 Prozent stieg. "Ich bekam zu hören, dass Ausländer wie ich schuld sind", erinnert sich der dreifache Vater, der mit seiner polnischen Frau im Norden Dublins lebt. Derartige Anfeindungen seien aber die Ausnahme. Polen und Iren seien sich ähnlich: "Beide scherzen und trinken gerne."
Die kulturelle Ähnlichkeit der Iren und der Osteuropäer habe die Integration erleichtert, sagt Forscher Barrett. "Die meisten Immigranten in den Boom-Jahren waren – vereinfacht gesagt – weiß, christlich und hoch motiviert."
Polnische Supermärkte
Wie groß die osteuropäische Gemeinde geworden ist, zeigt sich im Straßenbild. Die polnische Supermarktkette Polonez hat in den vergangenen elf Jahren 29 Filialen eröffnet. Verkauft werden fast ausschließlich polnische Lebensmittel.
Rassismusfrei sei auch Irland nicht, wirft die 1992 eingewanderte Caroline Molloy ein. Sie erzählt von irischen Bekannten, die "unbegründet gegen Afro-Amerikaner wettern". Sie selbst sei noch nie angefeindet worden. "Und das ist bemerkenswert", lacht Molloy, "denn ich bin Britin."
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