Dreitägige Staatstrauer in Kenia

Schafe Kritik an langsamer Reaktion der Polizei nach Shabaab-Angriff auf Uni.

Vier Tage nach dem Massaker an der Universität in Garissa hat in Kenia eine dreitägige Staatstrauer begonnen. Die Flaggen wehten am Sonntag auf halbmast, während christliche und muslimische Geistliche zur Einheit aufriefen und in Ostergottesdiensten für die 148 Opfer gebetet wurde.

In der Presse wurde unterdessen scharfe Kritik an der verspäteten Reaktion der Polizei auf den Angriff der somalischen Islamistenmiliz Shabaab laut.

Präsident Uhuru Kenyatta warnte davor, Muslime zu Sündenböcken zu machen: "Gerechtfertigter Zorn" dürfe nicht dazu führen, "jemanden zum Opfer zu machen, denn dies würde nur den Terroristen nutzen". Bereits am Samstag hatte Kenyatta zur Einheit aufgerufen, zugleich aber eine harte Reaktion auf den Angriff angekündigt.

Der anglikanische Erzbischof Eliud Wabukala sagte bei einem Gottesdienst in der Kathedrale von Nairobi, "die Terroristen wollen Angst und Zwietracht in der Gesellschaft säen, aber wir sagen ihnen, ihr werdet niemals siegen". Im überwiegend christlichen Kenia leben rund 20 Prozent Muslime. In Rom rief Papst Franziskus beim Ostergottesdienst die Menschen in aller Welt auf, für die ermordeten Studenten in Garissa zu beten.

Der stellvertretende Vorsitzende des Rats der Muslime in Kenia, Hassan Ole Naado, sagte, Kenia befinde sich im "Krieg, und wir müssen alle zusammenstehen". Der Rat der Muslime werde dazu beitragen, Geld für die Beerdigung der 148 Todesopfer des Massakers und für die Behandlungskosten der rund hundert Verletzen aufzubringen. Naado warnte, das Ziel der Shabaab sei es, "einen Religionskonflikt" in Kenia zu provozieren.

Kritik an langsamer Reaktion

Unterdessen wurde scharfe Kritik an der langsamen Reaktion der Einsatzkräfte laut. Zeitungen berichteten am Sonntag, Spezialkräfte der Polizei hätten sieben Stunden gebraucht, um aus der Hauptstadt Nairobi an den Tatort im Norden des Landes zu gelangen. "Dies ist Fahrlässigkeit von einem Ausmaß, das ans Kriminelle grenzt", schrieb die Zeitung The Nation. Sie erinnerte an Zeugenaussagen, wonach die Täter langsam, mit "offensichtlichem Genuss" mordeten.

Journalisten aus Nairobi gelangten per Straße schneller ins 365 Kilometer entfernte Garissa als die Spezialkräfte, die auf dem Luftweg anreisten. Dem Bericht der Nation zufolge waren zwar die Spezialkräfte in Nairobi um 05.30 Uhr alarmiert worden, nachdem die ersten Berichte des frühmorgendlichen Angriffs der radikalislamischen Rebellengruppe auf die Universität öffentlich wurden. Allerdings traf das Hauptteam der Spezialkräfte erst kurz vor 14.00 Uhr am Tatort ein.

Innenminister Joseph Nkaissery wies die Kritik an den Sicherheitskräften zurück. Der Angriff sei "einer dieser Vorfälle, die jedes Land überraschen können", sagte Nkaissery. Die Nation warf den Sicherheitskräften vor, mit ihrer verspäteten Entsendung der Spezialkräfte dieselben Fehler begangen zu haben wie beim Shabaab-Angriff auf ein Einkaufszentrum in Nairobi, bei dem im September 2013 76 Menschen getötet worden waren.

Die Attentäter

Das Innenministerium teilte unterdessen mit, bei einem der vier getöteten Attentäter habe es sich um einen ethnischen Somalier mit kenianischem Pass gehandelt. Er habe einen Abschluss in Jus und sei von einem Bekannten als aufstrebender Anwalt beschrieben worden.

Bei dem Terroranschlag war auch der Sohn eines Regierungsbeamten beteiligt. Dies bestätigte Regierungssprecher Mwenda Njoka am Sonntag. Abdiram Abdullahi sei von seinem Vater als vermisst gemeldet worden. Der Vater ist den Angaben zufolge Landrat im Landkreis Mandera. Dieser liegt im äußersten Nordosten Kenias; am Dreiländereck zwischen Kenia, Somalia und Äthiopien.

Die Shabaab-Kämpfer hatten bei ihrem Angriff gezielt christliche Studenten ermordet, bevor sie beim Sturm der Polizei getötet wurden. Mit dem Angriff wollte die radikalislamische Rebellengruppe Kenia zum Abzug seiner Truppen aus Somalia zwingen, wo sie am internationalen Einsatz gegen die Shabaab beteiligt sind.

Cynthia Cheroitich trank vor Durst Bodylotion, um zu überleben. Die junge Kenianerin versteckte sich in einem Kasten, als bewaffnete Männer am Donnerstag in die Universität in Garissa eindrangen und damit begannen, Studenten zu ermorden. Etwa 16 Stunden dauerte das Massaker in der ostkenianischen Stadt. Die Kämpfer der somalischen Terrormiliz Al-Shabaab töteten knapp 150 Menschen.

Cheroitich hat überlebt. Die 19-Jährige harrte aus Angst zwei Tage in dem Kasten aus, erst am Samstag wurde sie gerettet. Sie kann kaum das Handy halten, das ihr eine Krankenschwester gibt, um ihre Eltern anzurufen. Die Schwester und ein Arzt müssen ihr auf ein Krankenbett helfen, so schwach ist sie. "Jetzt müssen Sie sich ausruhen", sagt die Krankenschwester. "Keine Telefonate mehr."

Stadt unter Schock

Die 120.000-Einwohner-Stadt steht unter Schock. Die Terroristen machten gezielt Jagd auf Christen. Sie erschossen jeden, der Fragen zum Koran nicht beantworten konnte.

Anrainer durchbrachen Polizeiabsperrungen, um einen Blick auf die Leichen der vier getöteten Attentäter in der Leichenhalle zu erhaschen. Die Terroristen sprengten sich nach Angaben der Regierung in die Luft. Augenzeugen berichten auch von Schusswunden. Später werden die Leichen auf der Ladefläche eines Kleintransporters durch die Stadt gefahren.

"Wir haben die Leichen gesehen. Nun sind wir zufrieden", sagt die Aktivistin Rahman Hussein. Johnson Mutinda hingegen will die Leichen loswerden. Al-Shabaab könnte sonst kommen und sie holen, befürchtet er. "Diese Leute haben keine Religion. Wir sollten ihre Leichen verbrennen." Viele können es nicht fassen, dass einige der Attentäter Kenianer waren.

Suche nach Angehörigen

Im Krankenhaus, wo Cynthia Cheroitich und mehr als 100 andere Verletzte behandelt werden, suchen verzweifelte Menschen nach Angehörigen. Regina Mulandi vermisst ihre Verwandte Monica Mwanzia, eine Studentin im zweiten Studienjahr. Ihr Vater hat sich auf den weiten Weg nach Nairobi gemacht, dort werden viele der Verletzten behandelt. Aber es fehlt jede Spur von der jungen Frau. "Ich warte immer noch auf Nachricht", sagt Mulandi. Aus dem ganzen Land kämen besorgte Anrufe, erzählt Ibrahim Aden Ali, ein Gemeindeaktivist. "Eltern sind bestürzt und besorgt."

Die Moi-Universität bleibt auf Anweisung der Regierung geschlossen. Angst geht um in der nur 140 Kilometer von der somalischen Grenze entfernten Stadt. Die Bewohner sprechen oft nur im Flüsterton. "Es fühlt sich nicht sicher an. Überhaupt nicht", meint etwa Ralph Kombo.

Garissa wurde bereits mehrmals zum Ziel von Al-Shabaab. In der Stadt sind kenianische Soldaten stationiert. Diese bekämpfen die Terrormiliz im benachbarten Somalia.

Doch dieser Anschlag sei anders gewesen als die vorherigen Angriffe, sagt Jacob Olweny, der seit zwanzig Jahren in Garissa lebt. "Die Menschen, die ermordet wurden, waren unschuldig." Er ist geschockt, aber aufgeben will er nicht: "Wir leben in Angst. Aber das ist unser Land. Wir werden nicht flüchten."

Kenias Präsident Uhuru Kenyatta drohte den Attentätern mit Konsequenzen. "Mitglieder von Al-Shabaab beten Selbstmord und die Ermordung von Kindern durch eine tyrannische Ideologie an", sagt er.

Schwerer Schlag auch für die Wirtschaft

Für die Wirtschaft in Garissa ist dies ein schwerer Schlag. Er habe zehn seiner besten Kunden verloren, berichtet der 23 Jahre alte Bernard Oyalo. Er fährt Motorradtaxi. Er habe mit einem der Studenten, seinem Cousin, während der Belagerung telefoniert. "Er hat leise gesprochen, erzählt, dass die Studenten zusammengetrieben wurden. Er habe sich noch versteckt. Als ich nächste Mal anrief, hob ein Polizist ab. Er sagte: 'Dein Freund ist nicht mehr bei uns.'" Sein Cousin war tot. "Ich kann seitdem nicht mehr arbeiten", erzählt der erschütterte Mann.

Die Schließung hat auch Auswirkungen auf die Gesellschaft in Garissa. Die meisten der etwa 850 Studenten waren Christen, ein Zeichen der Toleranz in der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung. Die Aktivistin Hussein warnt: "Die Uni zu schließen, ist ein Zeichen für das Ende des Zusammenlebens von Christen und Muslimen."

Kommentare