OSZE-Chef-Beobachter ist "vorsichtig optimistisch"

Der Vize -Chef der OSZE-Beobachter Alexander Hug über Gefahren, Kritik und russische Fußabdrücke in dem Krieg.

Im Gewirr an Informationen und Gerüchten sind Berichte der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine neutraler Ankerpunkt. Zudem überwacht sie die Einhaltung des Abkommens von Minsk vom 12. Februar 2015. Die Übereinkunft sieht einen Abzug schwerer Waffen vor sowie eine Einstellung aller Kämpfe. Zudem beinhaltet sie Maßnahmen zu einer politischen Befriedung der Region wie zum Beispiel die Abhaltung von Regionalwahlen unter Aufsicht der OSZE oder die Rückkehr ukrainischer Grenztruppen an derzeit nicht kontrollierte Abschnitte der russisch-ukrainischen Grenze.Der Schweizer Alexander Hug ist Vize-Chef der Mission. Der KURIER traf ihn zum Interview.

KURIER: Herr Hug, sehen Sie unter den gegebenen Umständen vor Ort überhaupt die Möglichkeit, ihr Mandat zu erfüllen?

Alexander Hug: Die Situation ist in der Tat sehr schwierig. Einerseits sehen wir eine größere Anzahl ziviler Opfer – Tote und Verletzte –; wir sehen auch eine größere Anzahl von Verletzten und Toten bei den kämpfenden Seiten. Beides sind messbare Anzeichen einer Verschärfung. Wir sehen den Einsatz schwerer Waffen und eine vermehrte Anzahl von Brennpunkten. Wir sehen auch, dass sich beide Seiten eingraben. Und wir sehen das vermehrte Errichten von Minenfeldern. Sie sind nicht nur Anzeichen, dass sich beide Seiten nicht über den Weg trauen, sie haben auch negative Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, weil sie sich nicht frei bewegen kann. Das trennt die Bevölkerung. Und unsere Patrouillen werden immer wieder in Vorfälle verwickelt – sie werden beschossen, sie werden an Checkpoints nicht durchgelassen. Fast täglich.

Nach den Kämpfen bei Donezk vor zwei Wochen war die Rede davon, das Minsk-II-Abkommen sei tot. Sehen Sie das so?

Es ist zu absolut, das so zu sagen. Ich war gerade vor dem Marinka-Vorfall (Kämpfe in einem Vorort von Donezk, Anm.) in Minsk und habe die Arbeitsgruppe "Sicherheit" geleitet. Da haben wir vier Stunden über Substanz gesprochen – nicht über das Format. Es gab gute Diskussionen zwischen allen Beteiligten. Die Plattform, die die Minsker Vereinbarung bietet, ist wichtig – es ist die einzige, die zur Verfügung steht. Und solange die Parteien sich zumindest unterhalten, besteht Hoffnung.

Wo sehen Sie Punkte, in denen Fortschritt passiert? Sicherheit ist es offenkundig nicht.

Fortschritt ist auch die Fähigkeit der OSZE-Mission, weiter aktiv zu sein. Unsere Arbeit unterstützt die Bemühungen der Seiten, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Es liegt aber an den Seiten und nicht an der Spezialmission, das Feuer einzustellen und Waffen abzuziehen. Wir begleiten diese Bemühungen, wir dokumentieren sie.

Glauben Sie, dass das Minsk-Abkommen eines Tages voll implementiert wird?

Ich bin vorsichtig optimistisch.

Es wurde von Kiew wiederholt eine Änderung des Mandates angeregt. Glauben Sie, dass mit dem aktuellen Mandat die Lage echt entschärft werden kann?

Wichtig ist festzustellen, dass das Mandat zwei Hauptkomponenten hat: Die erste ist das Beobachten und Feststellen von Tatsachen und das Berichten darüber. Die zweite ist das Ermöglichen von Dialog. Ich glaube, man muss einschätzen, ob zusätzliche Maßnahmen zur Stabilität in der Ukraine beitragen. Wenn das mit Ja beantwortet werden kann, dann sollte man sie in Betracht ziehen.

Stichwort Dialog. Zuletzt ist der Eindruck entstanden, dass das Vertrauen in die Mission von vielen Seiten wackelt. Wie sehr wirkt sich das auf die Arbeit aus?

Es stimmt, dass von vielen Seiten Kritik an uns herangetragen wird, vonseiten der Rebellen, vonseiten Kiews und auch vonseiten Moskaus – was grundsätzlich nichts Schlechtes ist: Wenn wir kritisiert werden, heißt das auch, wir sind unparteiisch. Wir haben vermehrt Waffensysteme beobachtet, die wir vorher noch nicht beobachtet haben; unsere unbemannten Flugzeuge sehen viel, wir haben jetzt Zugang zu Satellitenbildern. Die Tatsache, dass wir mehr sehen, gefällt nicht allen. Aber unser Mandat ist es, unabhängig zu berichten. Das werden wir weiterhin tun. Unser Dialog mit den Rebellen funktioniert nach wie vor. Das Gleiche besteht auf ukrainischer Seite.

Es wurde eine personelle Ausweitung angedacht, die Rede war von 1000 Mann – reicht das?

Die Verlängerung des Mandats beinhaltet diese Option. Aber man muss abschätzen, ob mehr Beobachter auch mehr Erkenntnisse bringen. Die Lage, die ich Ihnen geschildert habe, schränkt uns sehr ein. Ein Beispiel: Wir haben bis zu 50 Patrouillen unterwegs im Osten der Ukraine, haben aber zuletzt aufgrund der Sicherheitslage reduziert auf 25 oder sogar nur 20 pro Tag. Wenn man hier jetzt mehr Beobachter einsetzen würde, dann führt das nicht notwendigerweise auch zu besseren Berichten.

Die große Unbekannte in diesem Krieg ist doch die Frage: Sind reguläre russische Truppen im Einsatz? Was sagen Sie?

Wir haben diverse Male gesehen, dass sich Personen in nicht von der Regierung kontrolliertem Gebiet bewegen, die Insignien der russischen Föderation tragen; wir haben Waffensysteme gesehen, die die Ukraine nicht besitzt; wir haben massive Bewegungen von Material – Lkw, Panzer und anderen militärischen Mitteln – vom Osten nach Westen gesehen; wir haben auch Spuren über die Grenze gesehen, die von gepanzerten Fahrzeugen stammen, und wir haben in Kiew zwei Personen befragt, die uns klar gemacht haben, dass sie Teil einer aktiven Einheit der russischen Armee waren und auf Rotationsbasis in die Ukraine geschickt wurden. Es ist nicht an uns, Schlussfolgerungen zu ziehen – das obliegt den OSZE-Mitgliedsstaaten. Es ist aber wichtig anzufügen, dass diese Beobachtungen von keiner Seite bestritten werden.

Auch nicht von Russland?

Nein. Nicht formell gegenüber uns.

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