Ankara: Bombenterror kostet 128 Menschenleben
Junge Leute halten sich an den Händen und tanzen. Die Sonne scheint, die türkische Hauptstadt Ankara bereitet sich an diesem warmen Samstagvormittag auf eine Großdemonstration mehrerer Gewerkschaften, Oppositionsparteien und Kurdengruppen vor, bei der ein Ende der Kämpfe zwischen dem türkischen Staat und den PKK-Kurdenrebellen gefordert werden soll. Die Stimmung vor dem Bahnhof von Ankara ist heiter. Doch plötzlich schießt ein paar Meter hinter den tanzenden Menschen eine gewaltige Feuersäule in die Luft, dem Knall der Explosion folgt nach wenigen Sekunden ein zweiter.
Mitten in der Menschenmenge sind zwei Sprengladungen explodiert; 95 Menschen sterben, 246 werden verletzt. Die Zahl der Toten könnte aber noch weiter steigten. Laut Angaben der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP sind 128 getötet worden. Ein HDP-Funktionär, der anonym bleiben wollte, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag, die Opferzahl könne jedoch noch deutlich weiter steigen. Mehr als 500 Menschen seien verletzt worden.
Es ist der schlimmste Terroranschlag der türkischen Geschichte. Die Bomben der mutmaßlichen Selbstmordattentäter waren offenbar mit Metallkugeln versehen, um möglichst viele Menschen zu töten.
Der Journalist Faruk Bildirici von der Zeitung Hürriyet unterhält sich vor dem Bahnhof mit einigen Kollegen und wirft sich bei der Explosion zu Boden. "Als wir wieder auf die Beine kamen, sahen wir Leichenteile, die bis zum Bahnhofsgebäude geschleudert worden waren", berichtet er später. "Abgetrennte Arme und Beine lagen auf der Straße, Menschen schrien."
Minister werden verjagt
So endete die Demonstration der Regierungsgegner, noch bevor sie begonnen hat. Im Chaos nach der Doppelexplosion greifen einige Demonstranten einen Polizeiwagen an, weil sie annehmen, dass der Staat seine Hände im Spiel hat. Einige Minister, die den Tatort besuchen wollen, werden von einer wütenden Menge verjagt. Selahattin Demirtas, der Chef der Kurdenpartei HDP, spricht von einem "Massaker". Die Bomben von Ankara wurden an jener Stelle des Aufmarschplatzes für die Demonstration gezündet, an der sich die HDP-Abordnung versammeln sollte.
Nach dem Anschlag haben zahlreiche Menschen der Opfer gedacht. Nach Schätzungen versammelten sich am Sonntag rund tausend Menschen auf dem Sihhiye-Platz, wie auf Fernsehbildern zu sehen war.
Nun hatte die PKK eine neue Waffenruhe angekündigt, um die Chancen der HDP bei der Parlamentswahl am 1. November zu steigern. Beobachter spekulieren deshalb nach der Katastrophe von Ankara, dass es einen Zusammenhang zwischen der Gewalttat und der PKK-Entscheidung gab. Die Täter "wollten den Waffenstillstand verhindern", schreibt der angesehene Journalist Kadri Gürsel auf Twitter. Wenn das stimmt, ging der Plan nicht auf: Kurz nach den Explosionen erklärt die PKK, sie werde bis auf Weiteres das Feuer einstellen und die Wahl nicht behindern.
Heftig diskutiert wird die Frage, welche Organisation Interesse und Möglichkeiten hat, mit Selbstmordanschlägen ein Ende der Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und der PKK zu verhindern. Einige Regierungskritiker verweisen auf dunkle Kräfte im Staatsapparat. Der Parlamentsabgeordnete Lütfü Türkkan von der rechtsnationalen Partei MHP kommentiert, der Anschlag von Ankara sei entweder eine Panne des Geheimdienstes – oder ein Werk desselben. In den verbleibenden drei Wochen bis zur Wahl am 1. November dürften sich die Spannungen in der Türkei jetzt noch weiter aufheizen.
Zu der Tat bekannte sich zunächst niemand. Die Ermittler verdächtigen laut Medienberichten Anhänger der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS).
Parlamentswahlen finden wie geplant statt
Die für den 1. November geplante Parlamentswahl in der Türkei soll trotz des verheerenden Anschlages auf eine Friedensdemonstration wie geplant stattfinden. Eine Verschiebung der Abstimmung nach dem Attentat stehe nicht zur Debatte, sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag. Dies sei keine Option.
Wegen des gestiegenen Risikos würden die Sicherheitsvorkehrungen bei Wahlkampfveranstaltungen noch weiter verschärft, sagte der Vertreter. "Die Sicherheit bei der Wahl ist gewährleistet."
Nach dem blutigen Anschlag in der türkischen Hauptstadt Ankara sind tausende Menschen in Istanbul und anderen Städten des Landes auf die Straße gegangen. Die rund 10.000 Demonstranten im Zentrum von Istanbul machten Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Anschlag auf eine geplante Friedenskundgebung mitverantwortlich.
Bei dem Anschlag waren nach unterschiedlichen Angaben bis zu 97 Menschen getötet und knapp 200 weitere verletzt worden. Die Polizei begleitete die Proteste mit einem massiven Aufgebot, schritt aber nicht ein.
Weitere Demonstrationen fanden nach Angaben der Nachrichtenagentur Dogan in Diyarbakir, Izmir, Batman, Urfa und Van statt. Bei der Kundgebung im vorwiegend von Kurden bewohnten Diyarbakir kam es nach Angaben eines AFP-Fotografen zu Ausschreitungen, die Polizei setzte Tränengas ein.
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