"Revolution hat unsere Angstbarriere beseitigt"

Setzt auf den Dialog mit Muslimen: Kyrillos Samaan
Der koptisch-katholische Bischof Samaan über die schwierige Lage der Christen im Land, politische Beteiligung und seine Hoffnungen.

Kyrillos William Samaan ist koptisch-katholischer Bischof der ägyptischen Provinz Assiut mit 3,5 Millionen Einwohnern. Eine Million davon sind Christen, 50.000 koptische Katholiken (Ägypten hat rund 86 Mio. Einwohner). Mit dem KURIER sprach der 67-Jährige, der auf Einladung des katholischen Hilfswerks "Kirche in Not" in Wien war, über ...

... die Lage der Christen nach dem Sturz von Präsident Mursi (Muslimbruderschaft) 2013 und der Wahl des neuen Staatschefs, General al-Sisi, Ende Mai Es hat sich nicht viel getan. Die Christen sind seit Nassers Revolution 1952 Bürger zweiter Klasse. Sie sind von Posten ausgeschlossen, dürfen auf vielen Fakultäten nicht studieren. Wenn wir eine Kirche bauen wollen, brauchen wir eine Genehmigung des Staatspräsidenten. Es müssen auch zehn Bedingungen erfüllt werden, was fast unmöglich ist. Warum, wird nicht erklärt.

...Beispiele für Diskriminierung Es gibt Festnahmen wegen "Blasphemie gegen den Islam", wenn z. B. jemand etwas auf Facebook schreibt. Dagegen machen jeden Tag muslimische Prediger blasphemische Äußerungen gegenüber Christen – und nichts passiert. Demonstrationen von Christen werden verboten. Bei Streitigkeiten gibt es Versöhnungskomitees (traditionelle Gerichtsverfahren). Es werden aber nur Christen, nie Muslime bestraft. Da zeigt sich die Schwäche des Staats.

... die neue Verfassung, über die die Ägypter im Jänner abgestimmt haben Es ist von Religionsfreiheit, Menschen- und Bürgerrechten die Rede. Wenn das verwirklicht wird, für alle Ägypter gilt, sind wir zufrieden – mehr brauchen wir gar nicht. Bisher sehen wir aber keine Veränderung.

... die Parlamentswahlen im Herbst und die 24 Sitze, die für Kopten reserviert sein sollen Nach der Revolution 2011 (Sturz von Diktator Mubarak) gab es Dutzende Kleinparteien. Jetzt sollen größere Bündnisse gebildet werden, damit die Wahl übersichtlicher wird.

Der Hass gegen Christen wird schon in Kindergarten und Schule geschürt, in Freitagsgebeten und Medien verstärkt. Wenn Kopten kandidieren, werden sie nicht gewählt. Deshalb muss der Präsident die Sitze vergeben.

... Muslime im Land Der Großteil ist moderat. Das Verhältnis zwischen ihnen und den Christen ist gut, wir sind ja eine Ethnie. Viele Muslime spenden für Kirchenrenovierungen und umgekehrt. Die Muslimbruderschaft dagegen sieht die Kopten als Sündenböcke für den Sturz Mursis. Sie wird aber immer schwächer, ihre Finanzierung schwieriger. Konten werden kontrolliert. Viele frühere Anhänger bereuen ihre Taten.

... das neue Selbstbewusstsein der Christen Die Revolution von 2011 hat unsere Angstbarriere beseitigt. Davor haben sich die Christen immer zurückgehalten, dachten, sie könnten nichts ausrichten. Nun beteiligen sie sich. Die koptisch-katholische Kirche in Ägypten hat 250.000 Mitglieder und engagiert sich sozial. Wir haben 170 Schulen, in die großteils Muslime gehen, Gesundheitseinrichtungen und Entwicklungsprojekte. Ich bete mit Muslimen. Wir wollen eine Brücke bauen.

... den ISIS-Vormarsch im Irak Ägypten ist nicht der Irak. Bei uns wollen die Leute keine Vermischung von Staat und Religion, deshalb wurde Mursi ja auch gestürzt. Unsere Armee ist außerdem nationalistisch und sehr stark, sie würde einen solchen Vormarsch nicht akzeptieren.

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