Russland auf dem Weg in die Vergangenheit

Das Vorgehen des Kreml gegen die Zivilgesellschaft und Andersdenkende ist inakzeptabel und ruft dunkle Epochen in der Geschichte in Erinnerung
Stefan Schocher

Stefan Schocher

Wer sich gegen den nationalistischen Taumel stellt, riskiert alles.

von Stefan Schocher

über Russlands Umgang mit der Zivilgesellschaft.

Nein, Russland ist nicht auf dem Weg, ein demokratischer Staat zu werden. Und es versucht auch garnicht mehr, mit solchen Schlagworten wie „Übergangsperiode“ oder „Reformen“ (Beliebte Schlagworte in Zentralasien oder dem Kaukasus, wenn es um die Rechtfertigung autoritärer Machtgebarungen geht) Ausreden zu finden. Russland ist sehr durchdacht und orchestriert auf dem Weg in die eigene Vergangenheit. Und das traurige daran ist: Mit der mehrheitlichen Unterstützung seiner Bürger, nur eine kleine urbane Elite setzt sich dem entgegen. Und diese Elite gerät jetzt massiv unter die Räder.

Was sich im vergangenen Jahr abgespielt hat in Russland übertrifft alles, was in den Jahren davor schon immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hat. Da hatte Putin etwa seine dritte Amtszeit angetreten und man hatte es als „bedenklich“ kommentiert, dass dem so ist. Es gab Massenproteste in Moskau. Immerhin. Und waren gewisse sonderbare Anfälle von Personenkult um Putin davor noch schrullige, eher lachhafte Erscheinungen (man erinnere sich an die Putin-Armee, junge Mädels in Kleidchen und High-Heels die den Präsideten in Internet-Videos lobten und ehrten) so gibt es da kaum mehr etwas zu lachen. Denn, wer heute nicht mehr mittanzt, ist suspekt und wer sich offen gegen den nationalistischen Taumel in Russland stellt, riskiert alles.

Russland hat sich im medialen Schatten des Krieges in der Ukraine ganz klar zu einem autoritären Staat entwickelt neben dem Weißrussland schon fast liberal erscheint und einem Nationalismus freien Lauf gelassen, in dem die Einverleibung von Territorium in riesigen Militärparaden gefeiert, die Souveränität anderer Staaten zynisch mit Füßen getreten und selbst eigenes Strafrecht negiert wird. Man stelle sich vor, der Landeshauptmann einer mitteleuropäischen Region lobe den beschuldigten Mörder eines Oppositionspolitikers wegen eben der ihm vorgeworfenen Tat als beispiellosen Patrioten – so geschehen im Falle Nemtsow. So sieht ein entweder völlig dysfunktionaler Staat aus oder einer, der auf alle demokratischen Normen, internationale Gesetze und natürlich alle Andersdenkenden pfeift. Und das Russland ein dysfunktionaler Staat ist, darf in Zweifel gezogen werden.

Womit wir es heute zu tun haben ist nicht das Russland der 90er-Jahre, in denen es Probleme, sehr sehr viele Probleme, gab aber bei aller oligarchischer Willkür doch auch einen gewissen Pluralismus und vielleicht sogar soetwas wie eine Richtung. Es ist auch nicht das Russland der Nullerjahre, in denen es sehr problematische Tendenzen gab aber zugleich auch eine Gewisse Zurückhaltung der Führung, die sich davor hütete, zu weit zu gehen. Wir haben es heute mit einem Staat zu tun, der es geschafft hat, in der breiten Masse seiner Bürger alle paranoiden Bedrohungsempfinden aus Sowjetzeiten wiederzubeleben, um dieses nach und nach mit nationalistischen Großmachtsfantastereien zu würzen – und all das als „natürliches nationales Selbsbewusstsein“ zu verkaufen. Es gibt Beispiele aus der Geschichte, wohin das führen kann. Das ist eine sehr gefährliche Mischung.

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