Was wird aus Österreich?

Im Vorjahr haben wir zufrieden 70 Jahre 2. Republik gefeiert. Der Blick in die Zukunft macht vielen Angst.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Was wird aus Österreich? Die Frage alleine drückt schon Besorgnis aus. Ganz bewusst – wir spiegeln damit eine verbreitete Stimmung im Land wider. Man muss keine Umfragen bemühen, um zu wissen, dass sich die Mehrheit der Menschen in diesem Land Sorgen um die Zukunft macht. Wohl mit Grund. Wir wollen herausfinden, welche Ängste und Sorgen begründet sind und wo die Politik in Österreich Schaden abwenden könnte, wenn sie richtig handelt(e).

Im Rückblick fällt einem zu Österreich – trotz aller Skandale und Fehlentwicklungen – viel Positives ein. Abgesehen vom Zuwachs an allgemeinem Wohlstand, der bis vor wenigen Jahren angedauert hat, hat sich diese Gesellschaft durchaus weiterentwickelt. Der Rechtsstaat funktioniert mit einer Justiz, der niemand parteipolitische Unterordnung vorwerfen kann, und einer Polizei, die Fehler gemacht, aber aus diesen gelernt hat. Freiwillige sorgen in vielen Organisationen für großen Zusammenhalt, wir haben viele Unternehmen, die durch innovative Produkte Weltmarktführer wurden, und Forscher, die international geachtet sind.

Das große ABER

Wenn man freilich weiterdenkt, kommt nach jeder Errungenschaft gleich ein großes ABER: Das soziale Netz ist dicht gewoben, aber unflexibel, unübersichtlich und dadurch oft unnötig teuer. Reformen im Familienrecht haben die Gleichstellung von Mann und Frau erreicht, aber die Bezahlung ist oft noch unterschiedlich und der Mangel an Einrichtungen zur Kinderbetreuung trifft die Frauen. Es gibt eine soziale Durchlässigkeit, viele nutzen die Chancen für Aufstieg, aber das Bildungssystem lässt zu viele zurück. Diskussionen darüber bleiben schnell im Netz des Föderalismus und der Gewerkschaften hängen, die Kinder kommen dabei nicht vor. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind nicht so groß wie in anderen Industriestaaten, aber sie nehmen zu. Eine echte Steuerreform, die Arbeit und Arbeitseinkommen entlastet, dafür aber Vermögen, das ohne Leistung zufällt, besteuert, traut sich niemand zu. Die staatliche Ordnung funktioniert, aber der Aufbau mit seiner verwirrenden Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist zu teuer. Und der Nationalrat ist kein echtes Bundesparlament, sondern zum Teil eine Versammlung von wenig selbstbewussten Delegierten der Länder.

Der Wohlstand der Nachkriegszeit ist in Europa darauf aufgebaut, dass industrielle Spitzenleistungen vollbracht werden und dafür notwendige Rohstoffe relativ günstig zur Verfügung stehen. Die Globalisierung sowie der Aufstieg Chinas und kleinerer Industriestaaten haben dazu geführt, dass eurozentristisches Denken vorbei sein muss. Andere Regionen steigen auf, das ist nur eine der Veränderungen, die Angst machen. John Naisbitt sagt im KURIER-Gespräch: "Es geht doch nicht ums Abwehren, sondern darum: Wie werden wir Teil des neuen Spiels?" Der Mann ist 87 Jahre alt und denkt an die Zukunft. Die Parteien denken im besten Fall an die nächsten Wahlen, und seien es nur Gemeinderatswahlen, es gibt immer Gelegenheiten, wo die Angst vor Verlusten Reformen aufschiebt. Und gab es früher noch starke gesellschaftspolitische Vorstellungen, sind die fast völlig verloren gegangen. Wohlklingende Formeln mit Begriffen wie Leistung oder Gerechtigkeit werden bemüht, aber grundsätzliche Konzepte, wie unsere Gesellschaft in der Zukunft aussehen könnte, fehlen. Sie wird nämlich anders aussehen, von den Schulen bis zur Arbeitswelt. Wer ist darauf eingestellt?

Die ungewisse Zukunft

Österreichs Zukunft wird auch dadurch bestimmt werden, wie sich Europa weiterentwickelt. Als geografische Einheit von Nationen oder als Gemeinschaft von 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern? Als schrumpfender Kontinent oder als Zusammenleben von geborenen Europäern mit Zuwanderern? Als offene, tolerante Gesellschaft verschiedener Volksgruppen und Religionen oder Kampfplatz von Fundamentalisten? Wollen wir uns abschotten, als Alpen-Disneyland? Oder haben wir das Selbstvertrauen, der innovative Ideengeber in einem offenen Europa zu werden?

Eines darf nie verhandelbar sein: Der Rechtsstaat, der bei uns funktioniert, und die liberale Grundordnung als Ergebnis der Aufklärung, mit allen ihren Errungenschaften. Ein Österreich mit vielen starken Frauen und Männern, mit Kindern, die alle Chancen bekommen, und mit einem Sozialsystem, das sich um diejenigen kümmert, die bei der zu erwartenden höheren Geschwindigkeit nicht mitkommen, das wär’s. So verhindern wir am ehesten den einen starken Mann, der nur wieder alles kaputtmachen würde.

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