Vergesst Lagerhysterie, Österreich wird bunter

Wenn zwei Gegenpole aufeinanderprallen, müssen die Funken fliegen. Fünf Lehren aus der Hofburg-Wahl.
Josef Votzi

Josef Votzi

Vergesst die Lager-Hysterie, Österreich wird bunter: Fünf Lehren aus der Hofburg-Wahl.

von Josef Votzi

über die Angst vor einer totalen Spaltung.

Die Humoristen des Ö3-Wecker offerierten schon Stunden zuvor das letzte Kapitel im Wahlkrimi um die Hofburg: Österreich hat ab sofort zwei Bundespräsidenten. Der eine hält die Rede zum Nationalfeiertag, der andere die Neujahrsansprache. Der eine eröffnet den Opernball, der andere ist Promi-Gast in der Lugner-Loge. Das Gewitzel tat in der Aufgeregtheit gut. Jetzt sollte ganz Österreich einmal ein paar Tage tief durchatmen – auch um in Ruhe zu bilanzieren, was uns der spannendste Wahlabend seit Menschengedenken sagen soll. Hier ein paar erste Denkanstöße:

Lektion 1: Die Frage, ob ein Blauer das Gesicht Österreichs sein kann, hat das Land in zwei gleich große Lager geteilt. Diese Polarisierung wird auch die nächste Nationalratswahl prägen: Kann und darf Strache Kanzler?

Lektion 2: Für die FPÖ ist nach der Hofburg-Wahl vor dem Kanzler-Rennen. Sie wird jetzt die allerletzten Skrupel fallen lassen, um Strache ins Kanzleramt zu pushen. Die FPÖ schlüpfte noch in Wahlnacht vorsorglich einmal mehr in die Opferrolle. Im Innenministerium werde anders gezählt als ORF, tönte der FPÖ-Chef – wider besseres Wissen, dass es einen Unterschied zwischen Hochrechnungszahlen und ausgezählten Stimmen gibt. Und der Beinahe-Bundespräsident behauptete ohne den Funken eines Beweises augenzwinkernd vor laufenden Kameras: "Bei Wahlkarten wird immer eigenartig ausgezählt..."

Lektion 3: Die am Sonntag sichtbar gewordenen Teilung des Landes in zwei gleich große Lager bleibt auf Sicht ein Ausnahmefall. Bei der Stichwahl haben nur noch die Kandidaten der gegensätzlichsten politischen Pole kandidiert. Die bisherige politische Mitte hatte ihre Chancen bereits im ersten Wahlgang verspielt. Es ist freilich trügerisch, die 50 Prozent für den blauen knapp gescheiterten Hofburg-Kandidaten der FPÖ und die 50 Prozent für den Sieger den Grünen zuzurechnen. Fakt ist aber auch: Das Bündnis hinter dem Blauen ist belastbarer als das hinter dem Grünen. Das stärkste Motiv für Van der Bellen war ein kurzfristiges – Blau verhindern. Das stärkste Motiv für Hofer war ein nachhaltigeres – die Person des Kandidaten.

Lektion 4: Schlagzeilen wie "Gespaltenes Land" und "Österreich ist zerrissen" sind oberflächlich und kurzsichtig. Österreich ist auf Dauer nicht in zwei Lager gespalten worden. Im Gegenteil: Die politischen Lager sind noch beweglicher geworden. Erstmals haben Zehntausende eingefleischte Schwarze oder Rote – viele mit zugehaltener Nase – einen Grünen oder Blauen gewählt. Wer ein Mal anders wählt, ist ein Stammwähler a. D. Bei passendem Angebot wird für sie beim nächsten Mal gelten: Die Person zählt vor der Parteizugehörigkeit. Das Phänomen Irmgard Griss war erst der Anfang. Die politische Landschaft wird bunter, vielfältiger – und damit unberechenbarer.

Lektion 5: Christian Kern hat recht. Die Parteien, die ihre Vorrangstellung in der politischen Mitte verluderten, haben nun "ihre letzte Chance". Schaffen es auch der neue Kanzler und sein "Ich will"-Vize nicht, in den eigenen Parteien den Willen für einen ernsthaften Neustart samt neuem Stil durchzusetzen, sind sie endgültig Geschichte.

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