So wird Politik zum Schlepper für Strache

Asyl-Obergrenzen sind realitätsfremd. Rot-Schwarz muss der Angst um den Kontroll-Verlust Herr werden.
Josef Votzi

Josef Votzi

Paul Lendvai machte sich als einer der Letzten auf den Weg: "Am 5. Februar, einem trüben Montag, kam ich in einem gebraucht gekauften knöchellangen blauen Wintermantel und einem Koffer in Wien an." 180.000 Flüchtlinge machten sich so in den Wintermonaten 1956/’57 binnen eines halben Jahres nach dem von den Sowjets niedergeschlagenen Ungarn-Aufstand nach Österreich auf. Sie wurden "ohne Rücksicht auf Herkunft und Vergangenheit mit offenen Armen aufgenommen", resümiert der heute 86-jährige Journalist dieser Tage in die Die Zeit. Von Obergrenzen war damals keine Rede. Dabei waren in Wien nicht nur Elend und Not der Nachkriegszeit, sondern auch die "Nachwehen des Flüchtlingsstroms überall spürbar", so Lendvai.

Wer heute durch Wien geht, muss gezielt deren Quartiere aufsuchen, um auch nur einem der Zehntausenden Flüchtlinge zu begegnen. Massiv sichtbar wurden sie zuletzt an der Grenze. Die Bilder, wo sie zu Hunderten an den hilflos die Hände hebenden Polizisten vorbeimarschierten, haben bis weit in die gesellschaftliche Mitte ein Gefühl des totalen Kontrollverlusts ausgelöst. Jeder, der sich ernsthaft mit der Forderung nach einer "Obergrenze" auseinandersetzt, weiß aber, dass sie in eine Sackgasse führt.

Was tun mit dem 100.001 Flüchtling? Warum ist er weniger schutzbedürftig als der 99.999ste? Hier kann es keine andere Antwort als Ja zum Asyl für Schutzbedürftige und deren gerechte Verteilung in der EU geben.

Echte Kriegsflüchtlinge von Migranten trennen

Dringend neue Antworten sind nötig, wie es Europa und damit auch Österreich schneller und besser schaffen, zwischen echten Kriegsflüchtlingen und bloßen Migranten zu unterscheiden. Bei einer Anerkennungsquote von derzeit rund 50 Prozent würden aktuell 30.000 Personen übrig bleiben, die das Land verlassen müssen, rechnete Werner Kerschbaum, Generalsekretär des Roten Kreuzes, vor. De facto sind es aber deutlich weniger: 2015 wurden 3000 nicht anerkannte Asylwerber abgeschoben, 4300 gingen freiwillig zurück. Statt "realitätsfremder Obergrenzen" urgiert der Praktiker, einen "Masterplan am besten für die nächsten drei Jahre. Da muss die Regierung endlich in die Vorwärtsbewegung kommen."

Die Koalition muss generell rasch mehr bieten als billige Polemik von mit allen Wassern gewaschenen Ex-Parteisekretären wie jüngst Reinhold Lopatka und Greenhorns wie SP-Geschäftsführer Gerhard Schmid: Patzt der eine den roten Kanzler als "Nichtstuer" an, zeigt der andere mit dem Finger auf das schwarze Innen- und Außenministerium als "Versager" bei Kontrollen und Abschiebungen.

Ein für alle Seiten menschengerechter Umgang mit Flüchtlingen bleibt auch 2016 das Megathema der Politik. Es läge an Kanzler und Vizekanzler, hier doch noch endlich gemeinsam Leadership zu zeigen.

Wer diese Kardinalfrage mehr denn je Populisten und Parteisekretären überlässt, wird immer mehr Wähler in die Flucht ins wirklich Ungewisse treiben. Und wird damit endgültig zum Schlepper für Strache.

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