Mehr Demokratie – und mehr Freiheit

Unser politisches System der parlamentarischen Demokratie steht vor großen Herausforderungen.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

SPÖ und ÖVP haben ihre Geschichte als Großparteien hinter sich.

von Dr. Helmut Brandstätter

über Demokratie

Als Angela Merkel im November 2005 das erste Mal als Bundeskanzlerin im deutschen Bundestag sprach, formulierte sie ihr übergeordnetes politisches Ziel so: „Mehr Freiheit wagen.“ Die Abgeordneten verstanden, dass sich die CDU-Politikerin dabei an einem berühmten Satz des früheren SPD-Kanzlers Willy Brandt orientierte. Er hatte 1969 sein Programm so vorgestellt: „ Mehr Demokratie wagen.“

Beide Slogans waren gedacht als Antwort auf Verkrustungen des demokratischen Lebens. Ende der 1960er-Jahre war der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg abgeschlossen, vor allem junge Leute wollten mehr, als Sozialpartnerschaft und Wirtschaftswachstum. Die Sozialdemokratie schaffte es damals besser, diese Emotionen aufzunehmen und zu kanalisieren, auch bei uns in Österreich.

Angela Merkel wiederum war nach der Jahrtausendwende mit einem Staat konfrontiert, der alles regelte und vieles kontrollierte. Freilich blieb ihr Ruf nach mehr Freiheit selbst in der eigenen Partei ungehört. Auch Christdemokraten haben sich daran gewöhnt, ihr Wählerklientel beschützend zu betreuen. Mehr Freiheit gehört ja auch nicht zu den grundsätzlichen Forderungen der ÖVP, die stets an ihre Bauern und Beamten denkt, während sich die wachsende Zahl an kleinen Unternehmern in keiner Partei wirklich aufgehoben fühlt.

In einem lebhaften parlamentarischen System gehören Demokratie und Freiheit zusammen. Das macht der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Gerhart Holzinger, im Interview klar. „Österreich braucht einen Demokratisierungsschub“ sagt er, und er wirbt für ein neues Wahlrecht, das die Freiheit der einzelnen Mandatare eindeutig erhöhen würde. Abgeordnete, die mehr von ihren Wählern als einem Parteivorstand oder einem starken Landeshauptmann abhängig sind, können freier agieren. Ihre Freiheit kann sich nur positiv auf die Gesetzgebung auswirken.

Geldautomat ist keine Antwort auf die Krise

SPÖ und ÖVP haben ihre Geschichte als Großparteien hinter sich. Niemand kann sich vorstellen, dass eine von ihnen wieder eine absolute Mehrheit erhält, wie in den 1960er- und ’70er-Jahren. Aber die Apparate benehmen sich noch immer so, als könnten sie sich das Land aufteilen. Und die Abgeordneten sind zu schwach, das zu ändern, weil sie ja von diesen Apparaten abhängig sind.

Das ist ja die eigentliche Enttäuschung über das Team Stronach. Dort wollten sich Angestellte und Unternehmer engagieren, die sich eben nicht einer Parteimaschine unterwerfen wollten – und sie wurden mit einem Geldautomaten konfrontiert.

Die SPÖ wird auch bei den kommenden Nationalratswahlen auf Frauen und Männer aus der Partei setzen. In der ÖVP hat eben ein Wettrennen begonnen, bei dem Leute aus der Wirtschaft um ein Mandat kämpfen werden. Es sieht aber (noch) nicht danach aus, dass ein neuer Nationalrat wirklich mehr Demokratie wagen will, oder gar mehr Freiheit.

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