Sehnsucht

Julia Pfligl

So, wie ich Sehnsucht nach der Stadt hatte, gibt es in Wien eine Sehnsucht nach dem Land.

von Julia Pfligl

über Land- und Stadtleben

Als jugendliches Landei war Wien für mich ein großer Sehnsuchtsort. Ich wuchs neben einem Friedhof und einer Kuhweide auf, und da weder Tiere noch Tote besonders gesellig sind, spielte sich rund um unser Haus nicht viel ab. (Idyllisch, würden Makler sagen, aber erklären Sie das einer 16-Jährigen.) Die nächste Stadt war zwar weltberühmt, aber nicht wegen ihres Nachtlebens, sondern wegen eines Wahnsinnigen, der seine Kinder im Keller eingesperrt hatte. Kurz: Ich wollte raus. Bei jeder Folge "Sex and the City" stellte ich mir vor, wie cool es wäre, ein Taxi herbeizuwinken und in eine Cocktailbar zu fahren. Oder in ein Lokal, in dem Gemüselaibchen nicht das einzige vegetarische Gericht sind.

Dann kam ich nach Wien. Und stellte fest: So, wie ich Sehnsucht nach der Stadt hatte, gibt es hier eine Sehnsucht nach dem Land. "Österreichisches Bio-Brot" nach "traditionellen Rezepten", wie es meine Oma schon vor 20 Jahren gebacken hat, wird zum kulinarischen Statussymbol. Und der Rathausplatz für ein Wochenende zum "Urban Village", was im Grunde nichts anderes ist als ein XXL-Dorffest mit englischem Namen. Seltsam: Nach sechs Jahren in der Stadt kann ich diese Sehnsucht nachvollziehen. Die Ruhe, die Luft ... so schlecht war es eigentlich gar nicht, das Leben auf dem Land.

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