Opfer von Amts wegen

Georg Hönigsberger

Georg Hönigsberger

Wenn Opfer auf die Täter-Organisation treffen, also jener Organisation in der die Täter beschäftigt waren, birgt das einigen Sprengstoff in sich. Gestern also lud die Magistratsabteilung 11, das Wiener Jugendamt, zum "Tag der Begegnung". Eingeladen waren jene mehr als 1700 ehemaligen Wiener Heimkinder, die von der Stadt Wien für die in den Heimen erlittenen Qualen entschädigt worden sind. Die Wogen gingen hoch.

Einige MA11-Beschäftigte waren zeitweilig sprachlos, ob der Wut, des Zorns, der Trauer und der Verzweiflung, die ihnen aus der Dreihundertschaft entgegenschwappte. Vielleicht ist mein Eindruck falsch, aber einigen im Jugendamt wurde wohl erst gestern bewusst, welche Verbrechen in ihrer Organisation gedeckt, vertuscht und - zuallervorderst - begangen wurden.

Der "Tag der Begegnung" kann als erster Versuch gewertet werden, in einen offenen Dialog mit den Tausenden Betroffenen einzutreten. Der Wille seitens der MA11 war da, doch im Prinzip muss die Veranstaltung größtenteils als gescheitert angesehen werden.

Der Termin

Mehr als 100 ehemalige Zöglinge der Stadt Wien hatten sich für die Veranstaltung angemeldet, mit etwa 200 hat das Jugendamt gerechnet. Tatsächlich werden wohl an die 300 Ex-Heimkinder der Einladung gefolgt sein. Die Veranstaltung war für Mittwochvormittag angesetzt. "Was soll jemand machen, der arbeiten muss?", fragte mich ein ehemaliger Wimmersdorf-Zögling. Um gleich zu ergänzen: "Wahrscheinlich glauben die, wir sind eh alle arbeitslos." Also: Das nächste Mal bitte an einem Samstag und nicht unter der Woche in der Urlaubszeit.

Im Keller

Am Programm standen am "Tag der Begegnung" unter anderem drei aufeinander folgende rund einstündige Podiumsdiskussionen. Am Podium Mitarbeiter der MA11, Barbara Helige (Wilhelminenberg-Kommission), Reinhard Sieder (Historiker-Kommission), Udo Jesionek (Weisser Ring), Gudrun Wolfgruber (FH Wien) und zwei ehemalige Heimkinder. Ort der Veranstaltung: Ein kleiner Raum für maximal 48 Personen im Keller des Jugendamtes. Viel zu klein, viel zu heiß. Viel zu negativ besetzt: "Ich geh nicht in den Keller, weil ich da vor 40 Jahren von einem Mitarbeiter des Jugendamtes vergewaltigt worden bin", erklärte ein ehemaliges Heimkind bei der Rechtsberatung im ersten Stock. Dort fiel nur auf, dass von einer Vergewaltigung nichts in den Heimakten stehe. Eine Verhöhnung. Bei den Diskussionen im Kellerstüberl kochten die Emotionen der Betroffenen über. Also: Mehr Platz, mehr Raum - eventuell im Wiener Rathaus? - bei der nächsten Begegnung.

Wo war die Politik?

Den Mitarbeitern der MA11, die persönlich für Vorfälle, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Heimen geschehen sind, nicht verantwortlich sind, muss man hoch anrechnen, dass sie sich zum ersten Mal dem Thema gestellt haben. Beamte waren also zuhauf zugegen. Wer auch nur einen Politiker suchte, der suchte freilich vergeblich. Wieder stellte sich kein politisch Verantwortlicher den Fragen und dem Zorn und der Trauer jener Erwachsenen, die als Kinder ausgebeutet, gefoltert, geprügelt, seelisch und sexuell missbraucht worden sind. Schön zu hören, wie vom Podium zu vernehmen, dass "Bundespräsident Heinz Fischer laut darüber nachdenkt", bundesweit zu der gescheiterten Fürsorge-Erziehung, dieser "historischen Katastrophe" (Reinhard Sieder), Stellung zu beziehen. Spät, aber doch. Das war es schon an politischer Verantwortung, die heute gezeigt wurde. Vielleicht war ja auch zu wenig Platz im Saal und irgendein Politiker, der gerne Rede und Antwort gestanden wäre, ist, wie viele ehemalige Heimkinder , wegen Überfüllung nicht mehr hineingelassen worden. Also: Das nächste Mal bitte auch politische Entscheidungsträgern einladen (und in den Saal lassen).

Treffen nach 40 Jahren

Freilich gab es auch berührende Momente. So trafen sich ehemalige Leidensgenossen erstmals seit 40 Jahren oder mehr wieder. Jutta und Renate haben sich seit ihrer Zeit im Kinderheim Wilhelminenberg nicht mehr gesehen. Heutebegegneten sie einander wieder. Andreas sah Reini nach ebenso langer Zeit erstmals seit der Heimzeit in Hütteldorf wieder. "Der Reini hat immer auf mich aufgepasst, der war mein bester Freund." Es waren schöne Szenen, die sich da vor und im Jugendamt abgespielt haben. Ermöglicht hat dies die MA11 mit dem "Tag der Begegnung". Das war vielleicht nicht der Ur-Zweck der Veranstaltung, aber dieser Teil ist wirklich gelungen. Kein "also" an dieser Stelle.

Täter-Organisation

Sie finden es zu hart, ein ganzes Amt im Bausch und Bogen als Täter-Organisation zu bezeichnen? Jene Erzieherinnen und Erzieher, die aus purem Sadismus, sexueller Befriedigung oder geistiger Überforderung in Wiener Heimen gequält, geprügelt und vergewaltigt haben sollen, waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wiener Jugendamtes. Viele, die heute noch leben, beziehen eine stattliche Beamtenpesnion. Sie leben sozusagen auf Kosten der Steuerzahler; was man nicht ihnen, aber ihren Opfern (Stichwort: Entschädigung) häufig vorwirft. Über viele Vorfälle, das deckte nicht zuletzt der Bericht über das Kinderheim Wilhelminenberg auf, wussten die Vorgesetzten bis hin zum damaligen Jugendamtsleiter Walter Prohaska bescheid. Es wurde - bestens vernetzt - alles unter den Teppich gekehrt. Kritiker machte man rasch mundtot. (Anders lief es auch in Tirol nicht, wie der KURIER in Kürze berichten wird). Egal ob Wilhelminenberg oder Hohe Warte, die Verbrechen geschahen unter dem Zeichen des Amtssiegels. Opfern, die schon vor Jahrzehnten darüber berichtet haben, wurde einfach nicht geglaubt. Selbst Erzieherinnen oder Wissenschafterinnen, die damals Fehler im System aufzeigen wollten, wurden systematisch zum Schweigen gebracht. Also: Täter in Amt und "Würden"

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