Zaungast beim Dialog der Meister

Selbstportrait Henri Matisse, 1918, Ausschnitt
Welche Kunstwerke besitzen Künstler, was liegt ihnen daran? Eine Londoner Schau zeigt „Malergemälde“

„Dieses Bild hat mich in den entscheidenden Momenten meines Künstlerdasens moralisch getragen, ich habe von ihm meinen Glauben und meine Ausdauer bezogen.“ Das schrieb Henri Matisse (1869 – 1954) über das Gemälde „Drei Badende“ von Paul Cézanne, als er es 1936 einem Pariser Museum überantwortete. 37 Jahre zuvor hatte der Künstler das Werk gekauft – und sich dabei finanziell fast ruiniert.

Zeitkapseln

Zaungast beim Dialog der Meister
Three Bathers Paul Cézanne 1879-1882 Petit Palais, Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris HONORARFREI IN ZUSAMMENHANG MIT AUSSTELLUNG PAINTERS PAINTINGS
Gemälde sind Zeitkapseln, sie konservieren Haltungen, Ideen, Vorstellungen – und sie sind Kommunikationsmittel in einem Gespräch, das über Generationen hinweg geführt werden kann. Zwar können auch „gewöhnliche“ Kunstbetrachter in dieses Gespräch eintreten, doch zwischen Künstlern entspinnt sich der Austausch in einer besonderen Weise: Das zeigt die Schau „Painters’ Paintings“ („Malergemälde“), die bis 4. September in der LondonerNational Galleryauch die „Badenden“ aus dem einstigen Besitz von Henri Matisse präsentiert.

Den Grundstein zur Ausstellung legte allerdings ein anderer Kunst-Titan: Lucian Freud (1922 – 2011) hatte der National Gallery ebenfalls ein Lieblingsbild vermacht, als Dank dafür, dass Großbritannien seine 1933 vor den Nazis geflüchtete Familie aufgenommen hatte.

Zaungast beim Dialog der Meister
NG6620 Jean-Baptiste-Camille Corot Italian Woman, or Woman with Yellow Sleeve (L'Italienne) about 1870 Oil on canvas 73 x 59 cm © The National Gallery, London HONORARFREI IN ZUSAMMENHANG MIT AUSSTELLUNG
„Die Italienerin“, ein 1870 gemaltes Bild des Franzosen Jean-Baptiste Camille Corot, hing lange über dem Kamin in Freuds Wohnzimmer. Für die Ausstellung hat man das Arrangement rekonstruiert, ein Bild von Freuds Kollegen Frank Auerbach und eine Plastik von Auguste Rodin wieder gefunden. Von hier aus entspinnt sich eine vielstimmige Erzählung, die sich nicht nur in schulbuchartigen „X beeinflusste Y“ – Verbindungen erschöpft.

Freunde und Rivalen

Mit welcher Kunst sich ein Künstler umgibt, so wird rasch deutlich, kann die unterschiedlichsten Gründe haben: Freundschaft und Geistesverwandtschaft stehen oft dahinter, aber auch Rivalität – Matisse etwa tauschte gern Bilder mit Picasso, mit dem er in einem permanenten Ideenwettkampf stand.

Edgar Degas (1834 – 1917), als wohlhabender Bankierssohn geboren, tätigte „Stützkäufe“ für seine Künstlerfreunde und trug so Meisterwerke von Paul Gauguin oder Alfred Sisley zusammen. Als Edouard Manets Gemälde der „Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“ (1867) nach dem Tod des Künstlers in Einzelteile zerschnitten wurde, bemühte sich Degas darum, viele Teile zu kaufen und wieder zusammenzufügen.

Da viele „Malergemälde“ als Teil von Künstlernachlässen in Museen gelangten, ist es überraschend, dass der Ausstellungsbetrieb das Thema „Künstler als Sammler“ erst zögerlich entdeckt (die Kunsthalle Wien zeigte 2015 zeitgenössische Beispiele).

„Verbesserte“ Gemälde

Zaungast beim Dialog der Meister
Self Portrait by Lord Frederick Leighton PRA Aberdeen Art Gallery & Museums Collections
Für die National Gallery ist das Thema der Künstler-Bilder auch ein Anlass, die eigene Sammlung spannend zu präsentieren: Gemälde, die den britischen Nationalmalern Frederic Lord Leighton und Thomas Lawrence einst als Statussymbole dienten, kommen ebenso zu Ehren wie solche von Akademie-Gründer Sir Joshua Reynolds, der seine Altmeisterbilder gar eigenhändig „verbesserte“.

Dass der Maler Lawrence (1769 – 1830) sich zeitlebens als stolzer Besitzer eines Rembrandt-Selbstporträts wähnte, das sich später als ein Imitat herausstellte, verleiht der Schau auch eine tröstliche Note: Selbst im Dialog der großen Meister kann der Blick für das Echte manchmal getrübt sein.

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