Erinnerungen am laufenden Band

Konfrontationen in den 70ern am laufenden Förderband: einerseits das „bisschen Haushalt“ (hier im Bild) – und andererseits der Kampf um Emanzipation und Fristenlösung
Die Ausstellung "Die 70er – Damals war Zukunft" ist facettenreich, aber recht oberflächlich.

Im Sommer 2010 widmete die Schallaburg sich unter dem Titel "Beatles, Pille und Revolte" den 1960er-Jahren. Die Schau war derart erfolgreich, dass man nun das Sequel herausbrachte: "Die 70er – Damals war Zukunft".

Geändert hat sich nicht viel. Auf die "großen gesellschaftlichen Veränderungen" der 60er-Jahre folgt jetzt das "Jahrzehnt des gesellschaftlichen Aufbruchs". 2010 sprach Kurator Hannes Etzlstorfer von den Möglichkeiten, die 60er "nochmals Revue passieren zu lassen"; die Ausstellung nun (mit Etzlstorfer im Team) rufe "am laufenden Band bunte Erinnerungen an die 70er wach".

Das Kreisky-Jahrzehnt

Aus nationaler Sicht lässt sich dieses Jahrzehnt natürlich recht leicht fassen: Bei der Wahl am 1. März 1970 erhielt die SPÖ 48,5 Prozent der Stimmen, Bruno Kreisky wurde Bundeskanzler. Zunächst regierte er mit einer von der FPÖ tolerierten Minderheitsregierung; 1971, 1975 und 1979 erreichte Kreisky jeweils die absolute Mehrheit.

Doch ganz so einfach ist es doch wieder nicht. Kreisky hatte bereits 1967 den Parteivorsitz übernommen und trat erst 1983 zurück. Geschichte ist eben ein Kontinuum – und der Jahreswechsel 1969/’70 war keine Zäsur. Die Schau auf der Schallaburg (bis 6. November) nimmt darauf aber wenig Rücksicht: Sie verortet Phänomene in die 70er-Jahre, die es auch davor gab, nur um das Postulat "Damals war Zukunft" abzustützen.

Ein Beispiel: Als Plakatsujet verwendet man ein Foto, das den Architekten Wolf D. Prix und seine Mitstreiter in einem durchsichtigen Ballon, einer "unruhigen Kugel", im öffentlichen Raum zeigt. Die Performance von Coop Himmelblau datiert aus 1971. Ein transparenter, mit Luft gefüllter Plastikschlauch weist denn auch den Weg zu den Ausstellungsräumen in der Schallaburg. Die revolutionären Ideen aber formulierte Prix bereits 1968: "Coop Himmelblau ist keine Farbe, sondern die Idee, Architektur mit Fantasie leicht und veränderbar wie Wolken zu machen." Die ersten Realisierungen waren "pneumatische" Objekte, aufblasbar und beweglich.

Noch sonderbarer ist das Förderband, das die Schau durchzieht. Es nimmt Bezug auf Rudi Carrells "Am laufenden Band": Der Gewinner musste sich möglichst viele Konsumgüter merken, die vor seinen Augen auf einem Fließband vorbei glitten. Carrell hatte die Idee von der holländischen Show "Eén van de Acht" übernommen, die ab 1969 lief. Aber eigentlich stammte sie aus seiner "Rudi Carrell Show": Bereits 1963 ließ er Gegenstände auf einem Förderband vorbeirollen – und er sang dazu "Schlager am laufenden Band".

Ein Sammelsurium

Auf der Schallaburg werden mit Tausenden Gegenständen am laufenden Band – vom Flokati-Teppich bis zur Super-8-Kamera, vom Commodore bis zum Sturmgewehr 77, von der Dreh-und-Trink-Flasche bis zum Ikea-Katalog, von der Musikkassette bis zum Schild "Schaffnerlos" – die Erinnerungen an die 70er-Jahre strapaziert. Jochen Rindt stirbt in Monza, ein Pole wird Papst, die Reichsbrücke stürzt ein, Nina Hagen erklärt im "Club 2" das Masturbieren, der autofreie Tag kommt, die Schulbücher gibt’s ab nun gratis, das Volk entscheidet sich gegen das AKW Zwentendorf und so weiter. Ein Sammelsurium wie das erfolgreiche Mitmachprojekt "Wickie, Slime und Paiper". Eh nett.

Mehr Tiefgang wäre wünschenswert gewesen – so wie beim herausragend aufbereiteten Kapitel Feminismus.

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