"Orte eine Menge an Scheinheiligkeit"

Trotz magerer Umfragen bleibt Häupl bei seiner Ansage, bei der Wien-Wahl die absolute Mehrheit holen zu wollen.
Bürgermeister Häupl zur Wahlrechtsreform, zum Grünen-Überläufer und zur Rathauskoalition.

Seit dem Wechsel des Grünen Senol Akkilic am vergangenen Freitag zur SPÖ, ist in der rot-grünen Rathauskoalition Feuer am Dach. Bürgermeister Michael Häupl verteidigt im KURIER-Interview das mehrheitsfördernde Wiener Wahlrecht und lädt darüber die Grünen noch einmal zu Gesprächen ein.

KURIER: Was war das vergangene Woche mit den Grünen? Vorletzter Akt in einem Drama oder Episode in einer Beziehung?

Michael Häupl:I ch würde zur Episode tendieren. Mein Plan bei der Wahlrechtsreform war immer ein Kompromiss. Ich habe mich sehr bemüht, auch Frau Vassilakou war um einen Kompromiss bemüht. Aber es hat Akteure gegeben, denen das nicht so recht gewesen ist. Wie auch immer, Gemeinderat Akkilic ist freiwillig von den Grünen zu uns gekommen. Niemand hat ihn gezwungen.

Zum Wechsel gehören zwei. Einer, der geht, einer, der ihn aufnimmt. Hätten Sie Akkilic genommen, wenn die Grünen mit Blau und Schwarz beim Wahlrecht nicht so Druck gemacht hätten?

Jemanden, der zu uns will, den nehmen wir immer auf. Vieles von dem, was daran kritisiert wird, wäre glaubwürdiger, wenn man beim Wechsel vom Herrn Kenesei zur ÖVP dieselbe moralische Messlatte angelegt hätte. Ich nehme zur Kenntnis, was da so gesagt wurde. Aber ich orte dabei eine Menge an Scheinheiligkeit.

Enttäuscht, dass die Grünen beim Wahlrecht so ausgeschert sind? Im Koalitionsvertrag hat man sich gemeinsam die Reform vorgenommen. Im Gegensatz zu dem, was behauptet wird, gab es eine Reihe von Kompromissangeboten an die Grünen. Am Ende des Tages sind die samt und sonders gescheitert. Einseitige Schuldzuweisungen an die SPÖ sind daher lächerlich.

Aber bei der Reform ist es darum gegangen, das für die SPÖ mehrheitsfreundliche Wahlrecht zu kippen.

Es ist richtig, dass wir für ein mehrheitsbildendes Wahlrecht sind. Wir sind aber immer bereit gewesen, hier einen Kompromiss einzugehen. Daher biete ich den Grünen eine Wiederaufnahme der Gespräche an.

Aber die Grünen haben hier bereits klar Nein gesagt.

Das werden sie vor ihrer eigenen Wählerschaft argumentieren müssen.

Haben Sie erwartet, dass die Grünen nach den Turbulenzen in der Koalition bleiben?

Ich habe immer gesagt, dass ich es für reichlich absurd halte, wenn man wegen dieser Fragen eine Neuwahl vom Zaun bricht. Denn einem erheblichen Teil der Wählerschaft ist die Geschäftsordnung des Wiener Landtages nicht so ein Herzensanliegen und das Wahlrecht bis zu einem hohen Grad wohl auch nicht.

Aber nicht egal kann Ihnen die Ankündigung der Grünen sein, an einer Fortsetzung der Koalition zu arbeiten, allerdings mit neuen Spielregeln.

Die neuen Spielregeln muss man sich anschauen. Aber ich rede nicht über Koalitionen vor der Wahl.

Rot-Grün macht weiter. Frau Vassilakou sagt aber, das wird für sie so sein, wie wenn sie im Winter den Donaukanal durchschwimmt. Also frostig?

Ich stelle mir die Zusammenarbeit in Sachfragen wie in der Vergangenheit vor. Mit Bildern, wie sie da geprägt wurden, also unterste Schublade und Donaukanal, kann ich nicht sehr viel anfangen.

Die Bundes-ÖVP will in ihrem Parteiprogramm das Mehrheitswahlrecht verankern. Da müssten Sie doch dafür sein?

Da bräuchten wir am jetzigen Wahlrecht nichts ändern. Wir haben seit erdenklichen Zeiten ein mehrheitsförderndes Wahlrecht. Wenn wir aus der Mitgliederbefragung der ÖVP wissen, dass sie ein mehrheitsförderndes Wahlrecht wollen, dann ist das eine merkwürdige Diskussion, die wir da in Wien führen.

ÖVP-Obmann Manfred Juraczka hat jetzt gesagt, dass er in Wien mitregieren will, aber nicht um jeden Preis. Hat er im Hinblick auf die Zeit nach der Wahl jetzt bessere Karten als die Grünen?

Noch einmal, ich spreche vor der Wahl nicht über Koalitionen. Ich halte es in der Zwischenzeit auch für denkbar, dass es Koalitionen wie in Wiener Neustadt geben kann. Denn der österreichischen Innenpolitik ist offenbar nichts mehr fremd.

Das heißt, Sie schließen eine Koalition gegen die SPÖ in Wien nicht aus.

Das ist ja die Zielsetzung. Wie sonst können Grün, FPÖ und ÖVP in einer inhaltlichen Frage eine Koalition machen wollen?

In wenigen Wochen stellen Sie sich am SPÖ-Parteitag einer Wiederwahl. Mit welchen Ansagen treten Sie vor Ihre Funktionäre?

Dass wir gegen politische Experimente sind, wo es nur darum geht, einen sozialdemokratischen Bürgermeister wegzukriegen. Und dass Wien zum sechsten Mal Weltmeister in Sachen Lebensqualität geworden ist. Diesen Erfolgsweg wollen wir fortsetzen.

Nach dem bisher schwersten rot-grünen Koalitionskrach drohen bei den Ökos längst vergessen geglaubte Grabenkämpfe wieder aufzubrechen. Denn nicht alle grünen Funktionäre sind damit einverstanden, dass Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou mit der SPÖ weiterregieren will, obwohl die Roten den grünen Mandatar Senol Akkilic abgeworben hat, um im Landtag einen Beschluss für ein faires Wahlrecht zu verhindern. Der abtrünnige Gemeinderat ist unterdessen auf Tauchstation gegangen.

„Was spricht denn noch für eine Fortsetzung einer Koalition, wenn sich der Partner mit dem Arsch auf dein Gesicht setzt“, schreibt Ottakrings Klubchef Joachim Kovacs in seinem Blog. In den Gremien solle man ein Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende diskutierten.

Seine Floridsdorfer Amtskollegin Susanne Dietl sieht das ähnlich: „Nach diesem Foul stellt sich die Frage, ob es noch Sinn macht, gemeinsam weiterzuregieren. Man könnte ja die Legislaturperiode im koalitionsfreien Raum zu Ende bringen.“ Susanne Jerusalem, die stellvertretende Bezirksvorsteherin in Mariahilf, steht wiederum „zu 100 Prozent“ hinter Vassilakous Entscheidung. Es gehe darum, offene Projekte noch abzuschließen.

Offene Rechnungen

„Es gibt einzelne Funktionäre auf Bezirksebene, die noch eine Rechnung mit der SPÖ offen haben“, erklärt ein grüner Insider den Ruf nach einem Koalitionsbruch. Sie hatten sich mit der rot-grünen Rathauskoalition auch mehr rote Unterstützung auf Bezirksebene erwartet. „Doch sie haben feststellen müssen, dass sich die SPÖ keinen Millimeter bewegt.“

Gesamt betrachtet haben parteiintern trotz aller Empörung über die SPÖ die Pragmatiker die Oberhand, die Vassilakous Kurs unterstützen. Leicht erklärt: Die Wahlen können nicht mehr vorverlegt werden und der SPÖ will man nicht so einfach das Feld überlassen. Diese Einschätzung hat sich auch in der Bundespartei durchgesetzt.

Ähnlich sieht man das in den Bundesländern, in denen die Grünen ebenfalls mitregieren. „Ich kann die Wiener Kollegen verstehen, dass sie die Legislaturperiode zu Ende führen wollen“, sagt Maria Buchmayr, Landessprecherin der oö. Grünen. „Jetzt die Arbeit einzustellen, wäre nicht richtig“, sagt auch der Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch. Nach der Wahl werde man sich anschauen müssen, was mit der SPÖ vereinbar ist. Allen voran gehe es um klarere Regeln für gemeinsame Vorhaben.

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