Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier

Die Festzelte sind gut besucht. 230.000 Besucher erwarten die Veranstalter heuer auf der Wiener Wiesn. Das Event findet noch bis 12. Oktober statt.
Es ist wieder einmal Zeit, die Tracht aus dem Schrank zu holen. Bereits zum vierten Mal geht auf der Kaiserwiese im Prater Österreichs größtes Volksfest über die Bühne.

Die Anzeichen sind in der ganzen Stadt zu sehen. Eine Dirndlschürze hier, eine Lederhose da. Beim Betreten des Prater-Areals bleibt dann kein Zweifel: Das Epizentrum der Tracht ist nah. Ob kurze Dirndln, lange Dirndln, Lederhosen mit Karohemd oder Lederhose mit Hosenträger - jede Menschen in Tracht pilgern Richtung Kaiserwiese, wo bis 12. Oktober die vierte Wiener Wiesn stattfindet. Während untertags bei freiem Eintritt volkstümliche Brauchtümer vorgeführt und regionale Schmankerln gekostet werden, wird des Abends in großen Festzelten und Almhütten getrunken, geschunkelt und gegrölt.

Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier
Wiener Wiesn, Dirndln
"Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?", dröhnt Wolfgang Petrys Klassiker, gecovert von den "Saubartln" durch das bestens besuchte Kaiserzelt. Die Biergläser (um 8,80 Euro das Maß) werden schneller geleert, als die Kellner laufen können; einige High Heels sind bereits achtlos auf den Boden gekickt worden, damit ihre Besitzerinnen nach Herzenslust auf den Heurigenbänken auf und ab hüpfen können. Passend zum Kaiserzelt auch zu Roland Kaisers "Joana". "Ohne Fragen an den Morgen danach", wie es in dem Lied heißt, dürfte wohl auch das Motto einiger Besucher sein, die mit Maß und Ziel ihre Trinkfestigkeit testen. Da kann nicht einmal die Bauern-Jause als Unterlage dienen – denn Bergsteiger und Kren kommen hier nicht auf Brot, sondern zum Obstler.

Wien oder München

Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier
Wiener Wiesn, Dirndln
Es ist erst kurz nach 20 Uhr, doch die Stimmung könnte kaum besser sein. Findet zumindest Stefanie Gamlich. Nächste Woche fährt sie nach München. Zum Vergleich. "Mal schauen, ob die da mithalten können." Trachtige Veranstaltungen lässt die 26-jährige Wienerin so gut wie keine aus. Deshalb besitzt sie mittlerweile auch neun Dirndln – man kann schließlich nicht immer gleich aussehen. Gabriele Guggenberger besitzt nur ein Dirndl. Aber das würde sie gern öfter tragen, "weil die Tracht so eine schöne Tradition ist".

Dass der seit einigen Jahren anhaltenden Hype um Dirndl und Lederhosen eine tiefere Bedeutung hat, bezweifelt Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer jedoch. "Die Tracht hat schon so viele Phasen durchgemacht – von verpönt bis angesagt. Auch wenn Europa gerade einen Trend zum Regionalen erlebt: Im Großen und Ganzen ist der Hype um die Tracht einfach nur ein Trend."

Jugendkulturforscher Philipp Ikrath sieht das ebenso. Er räumt zwar ein, dass volkstümliche Veranstaltungen derzeit wohl so stark besucht sind, weil die Menschen in der digitalisierten Welt eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Authentischen haben. Trotzdem sei die Tracht nur ein Verkleiden für gewisse Anlässe. "Für den Rest des Jahres wandert das Dirndl dann wieder in den Schrank."

Noch wandern die Dirndln auf der Kaiserwiese allerdings noch über die Bänke oder auf die Tanzfläche. Vom Kleiderschrank will Katarina Kovcovsry noch nichts wissen: Der Abend fängt doch gerade erst an.

Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier
Wiener Wiesn, Dirndln
Anna Fellner, 24:"Das Tolle am Dirndl? Es steht jeder Frau. Bei mir im Waldviertel gibt's genug Möglichkeiten, Dirndln zu tragen. Was man beim Kauf beachten sollte: Das Kleid darf nicht zu kurz sein, die Oberweite muss gut zur Geltung kommen."
Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier
Wiener Wiesn, Dirndln
Gabriele Guggenberger, 54: "Die Trachtenmode ist eine schöne Tradition. Ich finde es wichtig, dass wir das fortführen. Derzeit trage ich Dirndln vor allem an Kirtagen oder bei Feiern am Land. Eigentlich würde ich es auch gerne so im Alltag tragen."
Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier
Wiener Wiesn, Dirndln
Stefanie Gamlich, 26: " Ich finde Tracht einfach super. Ich besitze neun Dirndln. Mir ist es sehr wichtig, dass die Dirndln von einem Traditionsunternehmen kommen. Das Dirndl, das ich heute trage, habe ich beim Arzberger in Mariazell gekauft."
Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier
Wiener Wiesn, Dirndln
Katarina Kovcovsry, 39:"Ich habe mir dieses Dirndl extra für die Wiener Wiesn gekauft. Ich bin heuer zum ersten Mal hier, ich bin begeistert. Auf was man beim Dirndl-Kauf achten sollte? Dass es g’scheit sitzt natürlich. Und, dass man genug Dekolleté zeigt."

Die traditionelle Tracht im deutschsprachigen Raum, sie hatte nichts mit feminin und weiblich zu tun, sagt Elsbeth Wallnöfer. "Das waren relativ plumpe Teile. Die Arme wurden nicht frei getragen, die Hüften nicht betont", erzählt die in Wien lebende Volkskundlerin, die seit 20 Jahren zum Thema Tracht und ihrer politischen Instrumentalisierung forscht. Dass Dirndln einst mehr verhüllten, als sie zeigten, hat einen guten Grund. Die Bäuerinnen trugen die Gewänder zum Kirchgang.

Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier
Die "Mittelstelle Deutsche Tracht" in Innsbruck war in der NS-Zeit für das Trachtenwesen im gesamten Deutschen Reich zuständig.Zeichnerinnen und Schneiderinnen dokumentierten die alten Gewänder. Fotografin: Lieslotte Purper, Reichsfrauenfotografin. links oben im bild: Gretl Karasek, die Zeichnerin von Gertrud Pesendorfer (Leiterin der Mittelstelle).
"Die Nazis haben die gezähmte Erotik in der Tracht eingeführt", erklärt Wallnöfer. Und dafür ist vor allem eine Tirolerin verantwortlich, die unter der NS-Herrschaft große Karriere gemacht hat und auch nach 1945 weiter als Doyenne der Trachtenforschung galt. Getrud Pesendorfer schwang sich 1939 zur Leiterin des Volkskunstmuseums in Innsbruck und der dort angesiedelten "Mittelstelle Deutsche Tracht" auf. Sie war für das Trachtenwesen im gesamten Deutschen Reich zuständig, ließ Schnitte, Stoffe und Muster dokumentieren. Die Nazis wollten Volkskultur ideologisch für sich nutzen und hatten in Pesendorfer eine fleißige Gehilfin. Sie sollte die Tracht für die "deutsche Frau" erneuern. "Sie hat damit unsere Vorstellungen von Dirndln und Tracht mitbestimmt", weiß Wallnöfer.

Barbie-Style erfunden

Pesendorfer wollte bewusst mit dem kirchlichen Einfluss brechen. "Sie hat die Taille eingeführt und die Vorlage für das Barbiepuppen-Dirndl geliefert", beschreibt Wallnöfer die bis heute nachwirkende Umdeutung der Tracht durch die NS-Funktionärin. Nach deren Vorstellungen durften Beine und Arme gezeigt werden, auch ein bisschen Dekolleté war erlaubt. Damit lieferte Pesendorfer die Steilvorlage für das, was heute auf Oktoberfest & Co. zu sehen ist. Auch wenn ihr das bei Weitem zu freizügig gewesen wäre, wie die Forscherin überzeugt ist. Ein schlechtes Gewissen müsse angesichts der NS-Einflüsse auf das Dirndl niemand haben, der heute eines trägt. Es könne aber nicht schaden zu wissen, wo es herkommt, findet die 51-Jährige.

In Wien und München gehören dieser Tage Dirndl und Lederhose zum alltäglichen Anblick. Doch der trachtige Trend beschränkt sich derzeit noch auf die deutschsprachigen Länder. Eine junge Grazerin will das nun ändern. "Wülde Hoamat" heißt die Modelinie von Alexandra Schuster, mit der sie Trachtenmode mit jungen, außergewöhnlichen Motiven wie Totenköpfen verbindet. Damit möchte die 29-Jährige gemeinsam mit ihrem Freund Bernd Wippel das Dirndl auch in England – und vielleicht sogar den USA– bekannt und beliebt machen. Länder also, in denen das Dirndl derzeit lediglich an Halloween oder zu Verkleidungspartys mit dem Motto "The Sound Of Music" getragen wird.

"Ich folge in den Fußstapfen von Vivienne Westwood", sagt Schuster, deren Hauptberuf vor Kurzem noch Volksschullehrerin war. "Ich weiß, das klingt eine wenig pompös, aber auch Vivienne begann als Lehrerin – und schaut euch an, wo sie jetzt ist."

"Je poppiger, desto besser. Bunt, aber nicht verkleidet. Und ganz klar: Tiefe Dekolletés sind ein Muss." – So fasst Designerin Gabriela Urabl die diesjährigen Dirndl-Trends zusammen. Seit gut vier Jahren verkauft die gebürtige Klagenfurterin in ihrem Geschäft "Dirndlherz" (8., Lerchenfelder Straße 50) Pop-Dirndln mit bunten Aufdrucken. Und so finden sich auf diesen Kleidern Hunde, Katzen oder das Straßennetz von London. Preise für die Unikate beginnen bei 300 Euro.

Die Modelle kommen jedenfalls gut an. Zwei, drei Dirndln verkauft Urabl pro Tag. Tendenz steigend. Dazu kommt: Die Menschen kaufen nicht mehr nur für Veranstaltungen wie die Wiesn, sondern für Privatpartys. "Wer auffallen will, trägt ein Dirndl." Ihr Wunsch: mehr trachtige Veranstaltungen über das Jahr verteilt in Wien zu etablieren.

Brauchtum untertags Bis 12. Oktober können Besucher bei freiem Eintritt zwischen 11.30 und 18 Uhr das Wiesn-Areal besuchen, Brauchtümer verfolgen und regionale Schmankerln probieren.

Party am Abend Ab 18.30 Uhr wird in den Partyzelten dann getrunken, geschunkelt und getanzt. Eintritt ab 39 Euro.

After-Party Für alle die um Mitternacht noch nicht genug haben, geht (dienstags bis samstags) im Herzerl Stadl am Areal des Praterdomes die Party weiter.

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