Tracht hat Saison, nicht nur zu Brezen und Bier
Die Anzeichen sind in der ganzen Stadt zu sehen. Eine Dirndlschürze hier, eine Lederhose da. Beim Betreten des Prater-Areals bleibt dann kein Zweifel: Das Epizentrum der Tracht ist nah. Ob kurze Dirndln, lange Dirndln, Lederhosen mit Karohemd oder Lederhose mit Hosenträger - jede Menschen in Tracht pilgern Richtung Kaiserwiese, wo bis 12. Oktober die vierte Wiener Wiesn stattfindet. Während untertags bei freiem Eintritt volkstümliche Brauchtümer vorgeführt und regionale Schmankerln gekostet werden, wird des Abends in großen Festzelten und Almhütten getrunken, geschunkelt und gegrölt.
Wien oder München
Dass der seit einigen Jahren anhaltenden Hype um Dirndl und Lederhosen eine tiefere Bedeutung hat, bezweifelt Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer jedoch. "Die Tracht hat schon so viele Phasen durchgemacht – von verpönt bis angesagt. Auch wenn Europa gerade einen Trend zum Regionalen erlebt: Im Großen und Ganzen ist der Hype um die Tracht einfach nur ein Trend."
Jugendkulturforscher Philipp Ikrath sieht das ebenso. Er räumt zwar ein, dass volkstümliche Veranstaltungen derzeit wohl so stark besucht sind, weil die Menschen in der digitalisierten Welt eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Authentischen haben. Trotzdem sei die Tracht nur ein Verkleiden für gewisse Anlässe. "Für den Rest des Jahres wandert das Dirndl dann wieder in den Schrank."
Noch wandern die Dirndln auf der Kaiserwiese allerdings noch über die Bänke oder auf die Tanzfläche. Vom Kleiderschrank will Katarina Kovcovsry noch nichts wissen: Der Abend fängt doch gerade erst an.
Die traditionelle Tracht im deutschsprachigen Raum, sie hatte nichts mit feminin und weiblich zu tun, sagt Elsbeth Wallnöfer. "Das waren relativ plumpe Teile. Die Arme wurden nicht frei getragen, die Hüften nicht betont", erzählt die in Wien lebende Volkskundlerin, die seit 20 Jahren zum Thema Tracht und ihrer politischen Instrumentalisierung forscht. Dass Dirndln einst mehr verhüllten, als sie zeigten, hat einen guten Grund. Die Bäuerinnen trugen die Gewänder zum Kirchgang.
Barbie-Style erfunden
Pesendorfer wollte bewusst mit dem kirchlichen Einfluss brechen. "Sie hat die Taille eingeführt und die Vorlage für das Barbiepuppen-Dirndl geliefert", beschreibt Wallnöfer die bis heute nachwirkende Umdeutung der Tracht durch die NS-Funktionärin. Nach deren Vorstellungen durften Beine und Arme gezeigt werden, auch ein bisschen Dekolleté war erlaubt. Damit lieferte Pesendorfer die Steilvorlage für das, was heute auf Oktoberfest & Co. zu sehen ist. Auch wenn ihr das bei Weitem zu freizügig gewesen wäre, wie die Forscherin überzeugt ist. Ein schlechtes Gewissen müsse angesichts der NS-Einflüsse auf das Dirndl niemand haben, der heute eines trägt. Es könne aber nicht schaden zu wissen, wo es herkommt, findet die 51-Jährige.
In Wien und München gehören dieser Tage Dirndl und Lederhose zum alltäglichen Anblick. Doch der trachtige Trend beschränkt sich derzeit noch auf die deutschsprachigen Länder. Eine junge Grazerin will das nun ändern. "Wülde Hoamat" heißt die Modelinie von Alexandra Schuster, mit der sie Trachtenmode mit jungen, außergewöhnlichen Motiven wie Totenköpfen verbindet. Damit möchte die 29-Jährige gemeinsam mit ihrem Freund Bernd Wippel das Dirndl auch in England – und vielleicht sogar den USA– bekannt und beliebt machen. Länder also, in denen das Dirndl derzeit lediglich an Halloween oder zu Verkleidungspartys mit dem Motto "The Sound Of Music" getragen wird.
"Ich folge in den Fußstapfen von Vivienne Westwood", sagt Schuster, deren Hauptberuf vor Kurzem noch Volksschullehrerin war. "Ich weiß, das klingt eine wenig pompös, aber auch Vivienne begann als Lehrerin – und schaut euch an, wo sie jetzt ist."
"Je poppiger, desto besser. Bunt, aber nicht verkleidet. Und ganz klar: Tiefe Dekolletés sind ein Muss." – So fasst Designerin Gabriela Urabl die diesjährigen Dirndl-Trends zusammen. Seit gut vier Jahren verkauft die gebürtige Klagenfurterin in ihrem Geschäft "Dirndlherz" (8., Lerchenfelder Straße 50) Pop-Dirndln mit bunten Aufdrucken. Und so finden sich auf diesen Kleidern Hunde, Katzen oder das Straßennetz von London. Preise für die Unikate beginnen bei 300 Euro.
Die Modelle kommen jedenfalls gut an. Zwei, drei Dirndln verkauft Urabl pro Tag. Tendenz steigend. Dazu kommt: Die Menschen kaufen nicht mehr nur für Veranstaltungen wie die Wiesn, sondern für Privatpartys. "Wer auffallen will, trägt ein Dirndl." Ihr Wunsch: mehr trachtige Veranstaltungen über das Jahr verteilt in Wien zu etablieren.
Brauchtum untertags Bis 12. Oktober können Besucher bei freiem Eintritt zwischen 11.30 und 18 Uhr das Wiesn-Areal besuchen, Brauchtümer verfolgen und regionale Schmankerln probieren.
Party am Abend Ab 18.30 Uhr wird in den Partyzelten dann getrunken, geschunkelt und getanzt. Eintritt ab 39 Euro.
After-Party Für alle die um Mitternacht noch nicht genug haben, geht (dienstags bis samstags) im Herzerl Stadl am Areal des Praterdomes die Party weiter.
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