Seit 28 Jahren gegen Atomkraft
Hektisches Treiben am Schottentor. Tausende Studenten, Touristen und Passanten steigen täglich in U-Bahn und Bim ein, aus und um. Doch ein paar Fußgänger werden langsamer, bleiben stehen. Ihre Aufmerksamkeit richten sie auf die Damen in Gelb mit Klemmbrett unterm Arm. Auch die 1934 geborene Wienerin Maria Urban, die seit 30 Jahren in Perchtoldsdorf lebt, steht jeden Mittwoch an diesem Verkehrsknotenpunkt, im "Jonas-Reindl", und sammelt Unterschriften. Gegen Atomkraft. "Na, da will ich ja gar nicht dran denken", hört sie oft, wenn sie Menschen über die Gefahren der AKW rund um Österreich aufklären möchte. Was die Aktivistin dennoch immer wieder antreibt: "Die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen."
Schlüsselerlebnis
Auslöser für die Gründung ihrer "Wiener Plattform Atomkraftfrei" war der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986. "Wien ist noch mit einem blauen Auge davon gekommen, aber unsere Alpen waren die am stärksten betroffenen Gebiete, neben der unmittelbaren Umgebung des AKW", sagt die ehemalige Volksschullehrerin und zeigt eine Landkarte mit Strahlungswerten vom Reaktorunfall. Einer ihrer Söhne – zur Blütezeit der Atombombenversuche Anfang der Sechziger geboren – hat von klein auf nur eine Niere und Gleitwirbel. Auch fünf Krebsfälle sind in Urbans Familie zu beklagen. "Ich kann nicht beweisen, dass die zahlreichen Krebsopfer und Missbildungen bei Kleinkindern darauf zurückgehen, aber die Atomkraftbefürworter können auch nicht beweisen, dass dem nicht so ist."
Alternativ zur Kernenergie will die Plattform Energiesparen sowie erneuerbare Energiequellen forcieren. "Wollt ihr lieber krebskranke Kinder, dafür eine schöne Landschaft? Ihr könnt es euch aussuchen", sagt die Aktivistin über Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen.
Lebensaufgabe
Bereits 6000 Unterschriften hat die Organisation für ihre aktuellen Kampagnen beisammen. Vernetzt ist man auch über das "Österreichische Netzwerk Atomkraftfrei". Intensiv sucht die Plattform Kontakt zur Politik, demnächst gibt es wieder ein Gespräch mit Umweltminister Andrä Rupprechter. Urban: "Wir haben die Politiker gewählt, damit sie sich für die Bevölkerung einsetzen. Denn sie haben eine Verpflichtung uns gegenüber zu erfüllen, egal, wie schwierig es ist."
In zwei Tagen geht radioaktive Strahlung um die Welt. "Das Glück bei Fukushima war, dass die gesamte Strahlung aufs Meer hinausgetragen wurde. Nicht auszudenken, wenn der Wind anders geweht hätte", sagt Urban. "Doch auf Meeresfische verzichte ich jetzt."
Auszeichnung
Das "Urgestein" der Plattform ist nicht nur Trägerin des Silbernen Ehrenzeichens des Bundes, vor wenigen Tagen wurde ihr auch das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien verliehen. "Es ist eine Auszeichnung, nicht nur für meine Person, sondern für die ganze Gruppe", meint sie. Seit 28 Jahren beweist sie schon Ausdauer im Kampf gegen die AKW-Betreiber: "Man braucht ein Ziel, das hält auch aktiv", sagt die rüstige 80-Jährige.
Sie hofft, dass sich Tschernobyl nie wiederholt. Eine Stadt wie Wien könnte nicht evakuiert werden, Mittel zur Eindämmung der austretenden Radioaktivität wären ungewiss. "In Europa kann man niemanden in die Todeszone schicken, dafür wissen wir zu viel." Ihr Schlussplädoyer: "Die Betreibung, der Bau und die Planung von AKW sind kriminell."
Österreich ist umzingelt: Zwölf AKW gibt es rund ums Land. Dukovany, Bohunice, Mochovce und Paks: Das sind die grenznahen Atommeiler, die kein Containment besitzen – wo also bei einem Zwischenfall sofort Strahlung an die Umwelt austritt. Ganz massiv tritt die Antiatomkraftbewegung daher vor allem gegen Neubau und Laufzeitverlängerung dieser AKW ein.
Auch das in Tschechien geplante Endlager in 500 bis 1000 Metern Tiefe will die Plattform verhindern. "Es ist uns bewusst, dass der atomare Abfall gelagert werden muss, aber unter diesen Bedingungen können wir das nicht gutheißen." Die Aktivisten fordern eine kontrollierte Lagerung, denn kein Container könne Radioaktivität eine Million Jahre zurückhalten.Nach 20 Jahren amortisiert sich der Bau einer Anlage, dann könne jeden Tag eine Million Euro verdient werden, weshalb die Atomlobby auch so stark sei. "Die Betreiber haben den Profit, die Bevölkerung das Leid und die Verluste", sagt Frau Urban. Sie sieht es als "Skandal erster Klasse", dass die EU-Kommission jüngst 31 Milliarden Euro Förderung für das britische AKW Hinkley Point bereitgestellt hat.
Kommentare