"Man kann Täter nicht unter einen Glassturz stellen"

"Man kann Täter nicht unter einen Glassturz stellen"
Ehrenamtliche Bewährungshilfe: Uniassistentin betreut neben dem Job Rechtsbrecher

Ehrenamtliche Tätigkeiten sind in unserer Gesellschaft gut angeschrieben. Aber nicht, wenn man dabei mit Rechtsbrechern arbeitet. Das bekommt die Universitätsassistentin Caroline Walser zu spüren, seit sie (neben ihrem Job) eine von 1007 ehrenamtlichen Bewährungshelfern ist. Aus ihrem Umfeld bekommt sie zu hören: „Wie kannst du dich für Täter stark machen? Es gibt doch Opfer, die muss man schützen.“ Aber genau das treibt die 29-Jährige (auch) an: „Sich mit den Tätern zu befassen ist Opferschutz, weil es verhindert, dass es neue Opfer gibt.“

Ihr Schlüsselerlebnis hatte die Mitarbeiterin des Instituts für Strafrecht an der Uni Wien während ihrer Ausbildung als Rechtspraktikantin im Wiener Landesgericht. Ein Asylwerber ohne Arbeitsberechtigung heuerte mit einem gefälschten Pass als Tellerwäscher an. Er wurde erwischt und bekam eine bedingte Haftstrafe, die er nicht verstand: Warum soll er jetzt auf einmal kriminell sein? Er wollte doch nur aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt verdienen.

Sonnenseite

Damals bewarb sich Caroline Walser beim Verein Neustart. „Ich bin im Leben auf die Sonnenseite gefallen, ich wollte mich sozial engagieren.“ Ein hauptamtlicher Bewährungshelfer, der gerade ein neues Team zusammenstellte, unterzog sie einem Eignungstest: Wie sie zu Randgruppen steht, welche Schicksalsschläge sie hatte, worauf sie stolz ist – viele Fragen auf emotionaler Ebene.

Im Team gibt es noch sechs andere ehrenamtliche Bewährungshelfer, darunter eine hauptberufliche Drogenberaterin, eine ÖH-Angestellte und einen pensionierten Finanzbeamten. Jeder betreut drei bis fünf Klienten ein bis drei Jahre lang. Der Teamleiter weist die Klienten zu, Mörder und Sexualstraftäter müssen hauptamtlich betreut werden.

Im Mittelpunkt steht die Deliktsverarbeitung: Warum ist es passiert? Und wie kann man verhindern, dass der Klient in ähnlichen Situationen wieder so (falsch) reagiert?
„Ich hätte mir nie gedacht, dass ich einmal zu einer Meisterfeier von Austria gehen werde“, erzählt Walser: „Aber ein Klient war Fußballfan und ging mit Freunden zur Austria-Feier, ich bin mit, um das Eis zu brechen.“ Daraus wurde „eine gute Arbeitsbeziehung“, denn am Anfang sieht der Klient im Bewährungshelfer ja eine vom Gericht verfügte Strafe.

Meist geht es um junge Handyräuber, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen. Die Bewährungshelferin trifft sich zwei Mal im Monat mindestens je eine Stunde mit dem Klienten, begleitet ihn zu Einvernahmen, Verhandlungen, Behörden und hofft, dass der Klient nicht rückfällig wird.

Beichte

Da hat ein Bursche einer Passantin die Handtasche geraubt und sie dabei verletzt: Er kam in U-Haft, erhielt acht Monate bedingt und wurde Caroline Walser zugewiesen. Eines Tages beichtete er ihr, dass wieder jemand zu Schaden gekommen war: Ein Passant wurde getreten, weil er einen Streit zwischen dem Burschen und seinen Freunden schlichten wollte. Walser unterliegt der Verschwiegenheitspflicht (außer bei Gefahr im Verzug) , sie kann nur auf ihn einwirken, sich freiwillig zu stellen. „Man nimmt das zunächst persönlich“, sagt sie: „Was habe ich in der Betreuung falsch gemacht?“ Der Teamleiter hilft: „Das hat er nicht dir zu Fleiß gemacht.“ Außerdem: „Man kann Täter nicht unter einen Glassturz stellen.“

Die ehrenamtliche Arbeit verändert das eigene Weltbild, sagt Walser: „Zuerst denkt man: Wenn schon das Blut strömt, wie kann man da hintreten? Man erwartet einen muskulösen, brutalen Täter, dann sitzt da ein 15-jähriger schmächtiger Bub.“

Es gäbe eben nicht DEN bösen Menschen, „jeder hat einen Liebreiz, und es hat Sinn, mit ihm zu arbeiten. Verdammen hilft nicht weiter.“

Zur Person

Die 29-jährige Tirolerin Caroline Walser war Assistentin im EU-Parlament und Verwaltungspraktikantin an der österreichischen Botschaft in Washington. Als Rechtspraktikantin hatte sie auch mit Wegweisungen bei Gewalt in der Familie, Besuchsrechtsregelungen nach Scheidungen und anderen emotionalen Fällen zu tun.
Ihre ehrenamtliche Tätigkeit als Bewährungshelferin findet auch in ihrem Job an der Uni Wien Niederschlag: Sie hält eine Vorlesung über moderne Alternativen zu Geld- und Freiheitsstrafen (Diversion, Therapie statt Strafe) und veranstaltet Rollenspiele mit Studenten, um den Tatausgleich zu veranschaulichen. Ihre Dissertation schreibt die 29-Jährige über die Fußfessel.

Neustart

Beim Verein Neustart, der sich auch um Fußfessel, Tatausgleich, gemeinnützige Arbeit und Opferhilfe kümmert, sind 212 hauptamtliche Bewährungshelfer im Einsatz. Jeder hat im Schnitt 40 Fälle zu betreuen. Die 1007 ehrenamtlichen Bewährungshelfer – davon 60 Prozent Frauen – kommen überwiegend aus pädagogischen oder sozialen Berufen. Sie müssen mindestens 24 Jahre alt, unbescholten, verlässlich und tolerant sein und sich in stabilen Lebensumständen befinden. Mindestens drei Klienten sind zu betreuen, dafür steht eine Aufwandsentschädigung von 64 Euro pro Klient im Monat zu.

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