"Totales Gefühl der Hilflosigkeit"

„Enorme Stress-ausschüttung“: Unfälle können für das Zugpersonal seelisch sehr belastend sein
Ein Unfall kann für Lokführer zum Trauma werden. Bei der NÖVOG werden sie von einem Team aufgefangen.

Es war ein Jännertag und schon spätabends, als ein 40-Jähriger aus dem Bezirk Melk mit seinem Auto über einen Bahnübergang in Hofstetten-Grünau fahren wollte. Der Lenker dürfte dabei die herannahende Mariazellerbahn übersehen haben, der Wagen wurde mit voller Wucht von dem Triebwagen erfasst und zur Seite geschleudert. Der Mostviertler erlitt schwere Verletzungen und musste von der Rettung versorgt werden.

Allerdings brauchte der Lokführer ebenfalls Hilfe. Und er fand in Michael Heussler einen Gesprächspartner, der sich nicht nur in seine Situation hineinversetzen konnte, sondern dazu auch noch psychologisch geschult ist. Denn Heussler ist nicht nur selbst Lokführer, sondern seit einigen Monaten auch ein Laienhelfer ("Peer") im Dienste der NÖVOG. "Bei dem Betroffenen sind durch den Vorfall plötzlich wieder Erinnerungen an einen weiteren Unfall wach geworden, der schon drei Jahre zurück liegt. Wir haben uns lange darüber unterhalten", erzählt der 51-Jährige.

Notfallausbildung

Seit Jahresbeginn stehen sechs Peers für die 36 Lokführer und 23 Schaffner des nö. Verkehrsunternehmens bereit. Zu tun gibt es leider immer wieder etwas. Im vergangenen Jahr zählte man bei der NÖVOG zehn Unfälle, heuer waren es schon vier.

Die Männer und Frauen, die sich allesamt freiwillig gemeldet haben, absolvierten eine psychologische Notfallausbildung. Diese umfasst auch die verschiedenen Möglichkeiten im Umgang mit Betroffenen. Das System des kollegialen Bereitschaftsdienstes läuft mitterweile schon recht gut. "Wenn es möglich ist, können wir gleich zum Unfallort kommen und uns um die Betreuung kümmen. Wenn das nicht geht, nehmen wir mit dem Betroffenen rasch telefonischen Kontakt auf", betont Helferin Mary Prankl.

Schlafstörungen

Dass die seelische Aufarbeitung von schweren Unfällen schwierig ist, weiß auch Michaela Stockinger von der ARGE Arbeitsmedizin."Oft herrscht dieses totale Gefühl der Hilflosigkeit. Viele Betroffene leiden unter Schlafstörungen, die Stressausschüttung ist ebenfalls enorm." Die Betreuung sei wichtig, schlussendlich gehe es aber "um das Bewältigen, nie um das Vergessen".Landesrat Karl Wilfing zeigt sich mit der Entwicklung des Projektes sehr zufrieden. Er betont im KURIER-Gespräch, dass sich "trotz aller technischen Einrichtungen Unfälle nicht vermeiden lassen." Ihm sei es wichtig gewesen, dass diese Form der psychologischen Betreuung auch im Unternehmen integriert werde. "Weil unsere wichtigste Ressource die Mitarbeiter sind." Laut NÖVOG-Geschäftsführer Gerhard Stindl zählen die Einsätze der Laienhelfer zu ihrer Dienstzeit, sie müssen dafür also nicht ihre Freizeit opfern.

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