Psychiater Haller über das wahre "Ich" des Vierfachmörders

Gutachter Haller: Dem Mörder ging es nicht primär ums Wildern, sondern um das Machtgefühl.
Es ging Alois Huber nicht ums Wildern, sondern um Macht, erklärt Psychiater Reinhard Haller

Alois Huber hinterlässt viel Trauer, aber auch ein Puzzlespiel. Wie tickte der Vierfachmörder? War er geisteskrank? Reinhard Haller, einer der renommiertesten Gerichtspsychiater Österreichs, zeichnet anhand der Fakten, Beschreibungen und „der Sprache seiner Verbrechen“ das Profil einer höchst problematischen Persönlichkeit, die sich jahrelang mit einer bürgerlichen Fassade tarnte.

KURIER: Beschreiben Sie in aller Kürze die Persönlichkeit des Vierfachmörders?

Reinhard Haller: Er war innerlich hoch aggressiv, querulatorisch, asozial und narzisstisch, und nur äußerlich angepasst und sozial verträglich.

Tagsüber also der Jäger und Heger, nachts der Wilderer. Wieso erstaunt das Doppelleben des Mörders so viele?

Das ist nichts Besonderes. Das Besondere ist, dass ihm niemand draufgekommen ist. Meine Interpretation ist: Er hat eine aggressive, asoziale Persönlichkeitsstörung. Er hatte viel kriminelle Energie, hielt sich nicht an Recht und Ordnung. In unserer Gesellschaft muss man die böse Seite verbergen. Man legt sich eine zweite Fassade zu, jene des Biedermanns. Das war nicht sein wahres „Ich“. Es ist ihm nicht gelungen, den Dampfkessel zuzuhalten. Das aggressive „Ich“ ist oft ausgebrochen.

Seine Entschlossenheit zeigt, dass er seine Exit-Strategie geplant hatte. Warum ließ er sich nicht einfach festnehmen?

Man darf nicht das Wildern als das Primäre sehen. Natürlich hat er gewildert. Aber das Wildern hat einen Ausdruck der Freiheit gehabt, des Kampfes gegen die Jäger und Obrigkeit, ein Machtgefühl ausgelöst. Er wollte der Schlauere, der Überlegene sein, jener, der sich die Trophäe, also den Kopf des Tieres holt. Und dazu hat der Gedanke gehört: Ihr werdet mich nie erwischen. Deshalb hat er sich so den Weg freigeschossen. Das ging so weit, dass er vor seinem Suizid Feuer gelegt hat. Er wollte sagen: Meinen Feinden lasse ich nichts, auch nicht meinen Hund (Anm. den er erschossen hat). Das hat hohe Symbolkraft.

Aus den Biografien bekannter Mörder weiß man, dass sie zuerst Tiere und dann Menschen getötet haben. Das trifft auch beim Vierfachmörder zu.

Ich glaube nicht, dass das ausschlaggebend war. Dass bei Jägern oder Menschen, die Erfahrung damit haben, die Tötungsschwelle niedriger ist, liegt auf der Hand.

Ein Freund erzählte in einem Interview, dass sich der Täter als schizophren bezeichnet hat. Ist das realistisch?

Das wird oft als ein Ausdruck verwendet: Ich habe zwei Seiten, zwei Gesichter. Ich glaube nicht, dass er schizophren war. Schizophrenie ist ein schwerer, chronischer Prozess, den man kaum verbergen kann. Damit hätte er kaum so viele Delikte verüben können und wäre früher aufgefallen.

Warum heißt es reflexartig, der Mann sei „krank“ gewesen?

Das ist eine Art Schutzmechanismus und weit verbreitet: Wir nehmen uns damit selbst die Angst, in dem wir sagen, der Täter muss krank sein. Das ist natürlich falsch.

Verständlich. Es ist doch beunruhigend: Er hatte zwar eine gestörte Persönlichkeit, war aber offenbar geistig gesund. Vermutlich gibt es viele solcher tickenden Zeitbomben.

Das ist es auf jeden Fall. Es gibt sicher noch einige Menschen, die solche Taten begehen können. Das ist gar keine Frage. Das FBI hat bekannt gegeben, dass weltweit 130 Serienmörder herumlaufen. Dass es viel, viel mehr mögliche Verbrecher gibt, das ist eine Tatsache. Dass man sie schwer erkennen kann, ist ebenso eine. Was mich besonders beunruhigt ist, dass wir in Österreich eine nicht mehr zufällige Anzahl von Kellerverliesen haben. Das gab es beim Priklopil, beim Fritzl und jetzt. Das gibt es in anderen Ländern nicht.

Ihre Erklärung dazu?

Ich hab’ keine. Ich weiß nicht, warum man diese verborgenen Festungen baut.

Im Sicherheitsdiskurs ist das Thema Terrorismus bestimmend. Es tötete aber kein Terrorist, sondern es war jemand aus der Mitte der Gesellschaft. Haben wir einen falschen Gefahrenbegriff?

Das glaube ich schon. Die Gefahr eines Terroranschlags ist minimal und beunruhigt uns sehr. Die Gefahr, dass man in einer nahen Situation getötet wird, ist wahrscheinlicher, beunruhigt uns aber nicht. Wir glauben einfach nicht, dass das ganz normale Böse auch in ganz normalen Menschen von nebenan steckt. In der Regel lauert die Gefahr in der Nähe. Von durchschnittlich hundert Morden in Österreich sind zwei Drittel Beziehungsdelikte im nächsten Umfeld. Deshalb müsste man Gefahr anders sehen.

Prof. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater und Psychotherapeut, Chefarzt des Suchtzentrums Maria Ebene in Feldkirch, Gutachter und Buchautor (Die Seele des Verbrechers“, „Das ganz normale Böse“).

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