Tempel oder Stadion? Das erste Monument der Menschheit stand in Göbekli Tepe

Tempel oder Stadion? Das erste Monument der Menschheit stand in Göbekli Tepe
Im Süden Anatoliens entstand vor 12.000 Jahren die erste Großbaustelle der Geschichte. Über Sinn und Zweck wird heftig gestritten.

War es ein Tempel, in dem Götter verehrt, oder doch ein Stadion, in dem Ball gespielt gejubelt und Bier getrunken wurde? Über Sinn und Funktion der Steinkreise auf einem ausgedörrten Hügel im Südosten Anatoliens debattieren die Forscher heftiger denn je. Göbekli Tepe ist auch heute, 20 Jahre nach seiner Entdeckung, eine Herausforderung für lange unumstößliche Glaubenssätze der Geschichtsforschung.

Schon allein das Alter sprengt jeglichen Rahmen bisheriger Altertumsforschung. 10.000 vor Christus sollen die ersten Tempel auf dem „Göbekli Tepe“, dem „bauchigen Hügel“ entstanden sein – und damit 6.000 Jahre, bevor andere Kulturen des Vorderen Orients ähnliche technische Leistungen vollbrachten.

Wer diese Menschen waren, die zum Anbruch der Jungsteinzeit diese bis zu 50 Tonnen schweren Steine auftürmten? Auch darüber herrscht weiter Unklarheit.

Die populärste Theorie ist jene, dass sie aus dem Norden nach Anatolien einwanderten, also aus Südeuropa. Die auf den Monumenten eingravierten Symbole deuten darauf hin.

Doch die entscheidende Frage, die Göbekli Tepe den Forschern stellt, ist viel grundsätzlicher. Wie konnten sie dieses Monument überhaupt erschaffen? Weder technisch noch kulturell hielt man Menschen der anbrechenden Jungsteinzeit bisher dazu fähig.

Logistische Herausforderung

Die erste Großbaustelle der Geschichte nennt man Göbekli Tepe auch. Und wie jede Großbaustelle brauchte sie vor allem eines: Spezialisierte Handwerker und dazu Unmengen an Arbeitskraft von ungeschulten Hilfskräften. Doch um diese Masse an Menschen in der damals noch grünen Steppe Anatoliens über Monate oder Jahre arbeiten zu lassen, war es notwendig, sie auch entsprechend zu versorgen: mit Nahrung, Kleidung und Unterkunft.

Die damals vorherrschende Kultur von Jägern und Sammlern war dazu sicher nicht in der Lage. Stämme, die auf diese Weise organisiert waren, hatten nicht die Möglichkeit, ausreichend Nahrung zu organisieren, um Menschen für Aufgaben wie den Bau von Tempeln oder anderen Versammlungsstätten abzustellen.

Waren die Erbauer von Göbekli Tepe also bereits sesshafte Bauern und Viehzüchter? Nur so hätten sie ausreichende Erträge für ihre Baumeister und Hilfsarbeiter erwirtschaften können. Darauf aber liefern die Monumente und die auf ihnen verewigte Symbolik keinerlei Hinweise. Nichts deutet darauf hin, dass sich hier eine etablierte Ackerbaukultur ans Werk machte.

Kühne Theorien

Das liefert Stoff für kühne Theorien, unter anderem jene, die kürzlich in einer „Netflix“-Serie ausgeführt wurde. Göbekli Tepe sei das Produkt einer vergessenen Hochkultur, die damals nicht auf- , sondern bereits untergegangen sei. Grund zum Ärgern für die tatsächlich bei den Ausgrabungen tätigen Forscher, für die solche Spekulationen mit Wissenschaft nichts zu tun haben. Noah Harari, der wohl bekannteste Geschichtsphilosoph des 21. Jahrhunderts, findet in seiner „Kurzen Geschichte der Menschheit“ zu einer schlichteren Erklärung. Die Jäger und Sammler seien nicht sesshaft geworden, um den Kalorienbedarf einer wachsenden Bevölkerung zu decken, „sondern um einen Tempel zu bauen.“

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