Wann Frauen auf die Barrikaden gingen

Der Zug der Marktweiber 1789 zwang Ludwig XVI. in die Knie
Tremate, tremate, le streghe son tornate! („Zittert, zittert, die Hexen sind zurückgekehrt!“). So sangen die Frauen in Rom Ende der 1960er. In den USA verbrannten Aktivistinnen öffentlich ihre BHs. Und in Amsterdam kniffen die „Dollen Minnas“ Männer in den Po. „Wir sind die Frauen-Befreiungsfront!“ riefen Rebellinnen von New York bis Berlin. Schriftstellerinnen wie Simone de Beauvoir („Das andere Geschlecht“) hatten in den Jahren davor das Feld bereitet und ein modernes Frauenbild entworfen: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“, postulierte sie. Und in den späten 1960er-Jahren begannen ihr die Frauen im Westen zu glauben.
Jetzt ist es den jungen Iranerinnen ebenfalls zu viel geworden. „Jin, Jîyan, Azadî“ („Frau, Leben, Freiheit“) skandieren sie seit Wochen und protestieren so gegen den Schleier, das Erb-, Ehe- und Reiserecht, das sie benachteiligt, einfach weil sie weiblich sind.

Iran: Frauen im Widerstand
Bis zur Aufklärung schienen Revolution und Barrikadenkämpfe eindeutig Männersache zu sein. Frauen waren nur Zaungäste. Mit der Französische Revolution von 1789 begann sich die politische und gesellschaftliche Struktur aufzulösen. „Frauen waren im Laufe der Geschichte bei sozialen Aufständen immer dabei. Oft sogar führend“, weiß die Historikerin Gabriella Hauch.
Das berühmteste Beispiel sei der Zug der Marktweiber von Paris nach Versailles im Oktober 1789. „Bis zu 10.000 Frauen sind damals zum Schloss Ludwig XVI. gezogen und haben den König damit konfrontiert, dass sie nichts mehr zu essen haben.“ Einige von ihnen wurden sogar zu Vorkämpferinnen in der Frauenfrage: Olympe de Gouges mit ihrer Erklärung der Rechte der Frauen, Théroigne de Méricourt, die bewaffnete Frauenbataillons forderte, oder Charlotte Corday, die aus politischen Gründen den Revolutionär Marat ermordete.
„Rebellion des Bauches“
Sie und viele andere demonstrieren, dass Frauen als selbstständig handelnde Gruppe längst in die Geschichte eingetreten waren. „Der Zug der Marktweiber war ein Brotmarsch, der sich in eine Tradition einfügt, die wir seit der frühen Neuzeit kennen“, erklärt Hauch. Der Sozialhistoriker E. P. Thompson habe das „einen Verstoß gegen die moralische Ökonomie genannt“ – eine „Rebellion des Bauches“.
Solche Rebellionen sehen wir in allen revolutionären Bewegungen.
Historikerin
Auch in Wien, als Frauen 1848 Katzenmusiken veranstalteten: Sie sind zu Hausbesitzern gezogen, die zu hohe Mieten verlangten, und haben dort einen Riesenradau gemacht.
Fest steht: Stilles Leiden und an die Vernunft appellieren haben noch nie etwas gebracht. Erst in Folge von Großereignissen, wie Revolution, Krieg und staatlichem Neubeginn habe sich die Situation der Frauen verbessert, konstatiert Diemut Majer. Die deutsche Rechtswissenschafterin hat die Revolutionen der vergangenen Jahrhunderte analysiert und kommt zum Schluss, dass die Beteiligung von Frauen am Geschehen umso intensiver war, je radikaler Revolutionen sich entwickelten.
Verantwortung für andere
Historikerin Hauch ist jedenfalls sicher, dass weiblicher Widerstand gefährlich ist, „weil Frauen vornehmlich in ihrer Rolle als Mütter und Sorgende auf die Straße gegangen sind. Es ging immer auch um ihre Verantwortung für Kinder und Alte. Frauen leisten einen Großteil der Arbeit – und zwar in allen Regimen. Wenn Frauen also beginnen, sich als soziale Gruppe zu verweigern, liegt darin ein ganz großer Sprengstoff. Ohne Frauen funktioniert die Welt nicht.“
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