Nur im ersten Lebensjahr: Warum Buben mehr brabbeln

"Ba", "aga", "dada": Schon nach wenigen Monaten geben Babys munter und mutig Laute von sich. Diese sogenannten Protophone wandeln sich im Laufe der Zeit zu den ersten Worten. Irgendwann geben Kleinkinder dann Phrasen und ganze Sätze von sich.
Manche Babys sind schon früh gesprächiger als andere. Eine neue Studie aus den USA, die aktuell im Fachblatt iScience veröffentlicht wurde, zeigt nun auf, dass Buben im ersten Lebensjahr mehr brabbeln als kleine Mädchen.
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Plaudertaschen auf Zeit
Das ist durchaus überraschend: Bisher ging man auf Basis wissenschaftlicher Forschung nämlich davon aus, das Mädchen bei der Sprachentwicklung – wenn auch nur hauchdünn – die Nase vorne haben.
"Es wird allgemein angenommen, dass Mädchen einen kleinen, aber wahrnehmbaren Vorteil gegenüber Buben in der Sprache haben", wird Psycholinguist Kimbrough Oller von der Universität von Memphis in einer Aussendung zur Studie zitiert. "Aber es hat sich jetzt gezeigt, dass Buben im ersten Jahr mehr sprachähnliche Laute von sich geben als Mädchen."
Der Vorsprung hält sich auf Dauer nicht. Während die untersuchten Buben im ersten Jahr eine höhere Vokalisierungsrate aufwiesen, holten die Mädchen auf und überholten sie bis zum Ende des zweiten Lebensjahres.
Folgestudie
Schon vor einigen Jahren war das Team um Oller in einer kleinen Untersuchung zu diesem Ergebnis gelangt. Die Erkenntnisse kamen schon damals unerwartet. Die Forschenden hatten nämlich ursprünglich gar nicht im Sinn, Geschlechterunterschiede bei der Sprachentwicklung zu messen. Ihr Hauptinteresse galt den Ursprüngen der Sprache im Säuglingsalter.
In der aktuellen Folgestudie untersuchten sie, ob sich das Muster bei größerer Stichprobe halten würde. Man analysierte mehr als 450.000 Stunden ganztägiger Aufnahmen von 5.899 Säuglingen. Die Aufnahmen wurden automatisch gescannt, um die Äußerungen von Säuglingen und Erwachsenen in den ersten zwei Lebensjahren zu zählen. "Soweit wir wissen, ist das die größte jemals durchgeführte Studie zur Sprachentwicklung", so Oller.
Trendumkehr aus evolutionärer Sicht
Insgesamt legten die Daten offen, dass männliche Säuglinge im ersten Jahr zehn Prozent mehr Äußerungen machten als weibliche. Im zweiten Jahr kehrte sich der Unterschied um, wobei weibliche Säuglinge etwa sieben Prozent mehr Laute von sich gaben als männliche.
Und zwar, obwohl die Wissenschafterinnen und Wissenschafter auch beobachteten, dass die Anzahl der Wörter, die von den Bezugspersonen an die Babys gerichtet wurde, bei weiblichen Säuglingen in beiden Jahren höher war als bei männlichen. Mit den Mädchen wurde also mehr gesprochen als mit den Buben.
Denkbar ist, dass männliche Säuglinge schon früh lauter sind, weil sie grundsätzlich aktiver sind. Die Daten stützen diese These allerdings nicht: Denn die verstärkte Lautäußerung männlicher Säuglinge verschwindet bis zum 16. Lebensmonat, während ihr höheres körperliches Aktivitätsniveau bestehen bleibt.
Die Ergebnisse passen aber zu einer evolutionären Theorie, wonach Säuglinge schon früh so viele Laute von sich geben, um ihr Wohlbefinden auszudrücken und ihr Überleben abzusichern.
Und wie erklärt sich der Lautvorsprung der Buben? "Wir vermuten, dass es daran liegt, dass das Leben von Buben im ersten Lebensjahr stärker gefährdet ist als das von Mädchen", mutmaßt Oller. Sie müssten entsprechend stärker auf sich aufmerksam machen.
Tatsächlich haben es neugeborene Buben nicht leicht. Ihr Risiko, in den ersten zwölf Lebensmonaten zu sterben, liegt deutlich über dem von Mädchen. Im zweiten Lebensjahr, wenn die Sterberaten insgesamt drastisch sinken, sinkt möglicherweise der Druck auf die Buben, ihre Fitness lauthals zu unterstreichen.
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