Mesopotamische Siedlung war schon vor 10.000 Jahren Schmelztiegel
Das als Mesopotamien bekannte Land im Bereich der beiden Flüsse Euphrat und Tigris ist eine jener Gegenden, in denen die Menschen sesshaft wurden. Anhand des Erbguts von 13 vor rund 10.000 Jahren in der heutigen Türkei lebenden Menschen zeigen Forscher nun, dass die Bevölkerung dort einst schon vielfältig vernetzt und die Siedlung ein von Migration geprägter Schmelztiegel war, so Forscher im Fachblatt "Science Advances".
Die archäologische Fundstätte von Çayönü liegt in der türkischen Provinz Diyarbakir im Osten des Landes im oberen Bereich des Tigris. Wissenschafter zählen den einstigen Ort zum Oberen Mesopotamien. Hier begannen Jäger und Sammler-Gruppen bereits sehr früh mit der Domestikation von Schafen, Ziegen oder Schweinen, mit dem Anbau von Einkorn und Emmer und der Errichtung erster größerer Steinmonumente.
Diese Prozesse seien in der Region archäologisch gut dokumentiert, woher die dort in der Zeit vor dem Einsatz von Keramik lebenden Menschen aber kamen, und wohin sie gingen, sei aber noch wenig erforscht, schreibt das Wissenschafterteam um türkische Forscher, zu dem auch der am Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien tätige Daniel Fernandes zählte, in seiner Arbeit.
Erbgutdaten untersucht
Offen sei vor allem die Frage, ob und wie stark die Menschen von dort ausgehend die Bevölkerung des jungsteinzeitlichen Anatoliens geprägt haben. Von dort aus verbreitete sich später die bäuerliche Lebensweise auch in Richtung Europa.
Die nun untersuchten Erbgut-Reste von 13 einstigen Bewohnern dieses vermutlichen "Hotspots" des Übergangs zur Sesshaftigkeit stammen aus dem Zeitraum von rund 8.500 bis 7.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Die Forscher verglichen die neuen Daten dann mit bereits publizierten Genomen aus dem gesamten Gebiet des "Fruchtbaren Halbmondes", die bis zu 17.000 Jahre zurückreichen.
Die damals in Çayönü ansässige Bevölkerung trug demnach vor allem genetische Spuren von Vorfahren und Zeitgenossen aus dem heutigen Anatolien in sich. Rund ein Drittel der Gene deckte sich aber mit Erbgutdaten aus dem Zagros-Gebirge im heutigen Iran und rund 20 Prozent mit DNA-Daten aus der südlichen Levante. Bei einem "DNA-Ausreißer" fehlte letzterer Anteil aber komplett, berichten die Forscher.
Sie schließen daraus, dass die Bevölkerung in ständigem Kontakt mit Nachbarregionen stand. Die Einflüsse aus dem Westen und Osten, wie auch die vermutliche Offenheit gegenüber Zuzug von außerhalb scheint den Ort zu einem frühen Schmelztiegel für verschiedene kulturelle und technologische Einflüsse gemacht zu haben, die alle in den archäologischen Funden sichtbar sind.
Archaische Behandlungsmethoden
Bei dem genetischen "Ausreißer" handelte es sich um ein eineinhalb- bis zweijähriges Mädchen, das vermutlich erst kürzlich zugewandert war. Es wies einen künstlich verformten Kopf auf. Erreicht wurde das vermutlich durch das gezielte Umwickeln des Kopfes während des Wachstums. Bei dem Mädchen handelt es sich um einen der ältesten belegten Fälle dieser Praxis.
Außerdem fanden sich bei dem Kind die frühesten dokumentierten Anzeichen einer Kauterisation. In diesem Fall fanden sich Spuren des gezielten Erhitzens der Seitenwände des Schädelknochens des Kindes. Da das Mädchen vermutlich unter mehreren Krankheiten litt, könnte es sich hier um den Versuch einer Therapie handeln, so die Wissenschafter. Das Kind lebte vermutlich nach der archaischen Behandlung noch einige Zeit weiter.
Wie auch in anderen Fundstätten der erweiterten Region dürften in Çayönü vor allem miteinander verwandte Menschen zusammen bestattet worden sein. Die neuen DNA-Daten legen zudem nahe, dass die spätere Bevölkerung von Zentral- und Westanatolien ab dem Jahr 7.000 vor unserer Zeitrechnung vor allem aus dem oberen Mesopotamien gestammt habe, und nicht etwas großteils aus dem Kaukasus zugewandert ist.
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