Der Mann, der nie Mainstream sein wollte: Anton Zeilinger wird 75

Der Mann, der nie Mainstream sein wollte: Anton Zeilinger wird 75
Lieferte bahnbrechende Beiträge zu den Grundlagen der Quantenphysik: "Ich möchte keine Dinge machen, die Mainstream sind."

International beachtete wissenschaftliche Exzellenz in einem Fach voll seltsamer Phänomene, gepaart mit der Bereitschaft, seine Arbeit anschaulich zu erklären, und einem Aussehen, das perfekt dem Forscherklischee entspricht, machen Anton Zeilinger zu einem der wenigen Stars der heimischen Wissenschaft.

Am Mittwoch feiert der Quantenphysiker seinen 75. Geburtstag.

Zeilinger hat immer an den äußeren Grenzen des aktuellen Wissens geforscht und bahnbrechende Beiträge zu den Grundlagen der Quantenphysik geliefert. Gleichzeitig wurde er mit seinem ergrautem Rauschebart und krausem Haar zum gefeierten Medienstar, dem Attribute wie "Mr. Beam", "Quantenpapst", "Popstar der Naturwissenschaft" oder "Hexenmeister aus Wien" verliehen wurden.

Dem Dalai Lama die Welt erklären

"Ich möchte keine Dinge machen, die Mainstream sind", sagte Zeilinger im Gespräch mit der APA. Dabei hat er mit seinen Arbeiten durchaus geholfen, einige Hauptströmungen seines Fachs zu starten - "sobald es aber Mainstream war, habe ich gesagt: Aus, wir machen wieder etwas anderes."

Seine Popularität ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass sich Zeilinger nie gescheut hat, den Elfenbeinturm zu verlassen: Er erklärte dem Dalai Lama die (Quanten-)Welt, diskutierte mit Nobelpreisträgern den Sinn des Lebens und vermittelte Grundprinzipien der Quantenphysik bei der Kunstausstellung documenta in Kassel.

An der Uni hatte er keine einzige Stunde Quantenphysik

Zeilinger, am 20. Mai 1945 in Ried im Innkreis (OÖ) geboren, hat in seinen Physik- und Mathematik-Studien an der Universität Wien "keine einzige Stunde eine Vorlesung zur Quantenphysik" gehabt.

Er musste sich sein Wissen aus Büchern aneignen, "und das hat mich sofort fasziniert, weil die Quantenphysik von unglaublich schöner Mathematik ist".

Faszinierend fand er auch, was nicht in den Büchern stand: "Wenn man fragt, was das alles bedeutet, im Sinne einer Interpretation der Quantenmechanik, bekommt man das Gefühl, dass da etwas Interessantes verborgen sein muss", sagte er einmal im Gespräch mit der APA.

Diese philosophischen Konsequenzen der Erkenntnisse aus der Quantenwelt beschäftigen ihn heute mehr denn je.

Er habe "das Riesenglück gehabt", seine Doktorarbeit bei Helmut Rauch (1939-2019) zu machen, dem Urvater der Quantenoptik in Österreich. Wie Rauch arbeitete Zeilinger ganz klassisch mit Neutronen, doch in dieser Zeit habe Rauch mit der Neutronen-Interferometrie begonnen und konnte schließlich zeigen, dass nicht nur Lichtteilchen Welleneigenschaften besitzen, sondern - wie von der Quantenphysik vorhergesagt - auch massive Teilchen wie Neutronen.

Das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung

Nach der Promotion (1971) blieb Zeilinger als Assistent bei Rauch. In diese Zeit fielen erste Forschungsaufenthalte im Ausland, u.a. beim späteren Nobelpreisträger Clifford G. Shull am Massachusetts Institute of Technologie (MIT), das er bis 1990 immer wieder besuchte.

Dort begann er, sich mit grundlegenden Fragen der Quantenphysik zu beschäftigen - zum Beispiel in Diskussionen mit den US-Physikern Daniel Greenberger und Michael Horne über das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung.

Dabei handelt es sich um einen quantenphysikalischen Zustand von mindestens zwei Teilchen, der Grundannahmen der klassischen Physik widerspricht.

Denn zwei verschränkte Teilchen bleiben auch über beliebige Distanzen stark miteinander verbunden, Veränderungen an einem beeinflussen scheinbar augenblicklich das andere Teilchen.

Zeilinger hat aus dieser scheinbaren wissenschaftlichen Kuriosität ein mächtiges Werkzeug gemacht - nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für Anwendungen.

Technischer Präzision und intellektuelle Weitsicht

Der Mann, der nie Mainstream sein wollte: Anton Zeilinger wird 75

Mit Greenberger und Horne beschrieb er 1986 eine spezielle Form der Verschränkung von drei Teilchen, die heute nach den Anfangsbuchstaben ihrer Namen "GHZ-Zustand" bezeichnet wird.

Diese Arbeit gilt in Fachkreisen als eine der wichtigsten Leistungen des Physikers. Es sollte bis 1998 dauern, bis es ihm gelang, diese Zustände auch experimentell zu erzeugen - der Weg dahin erwies sich aber als wissenschaftlich überaus fruchtbar.

Ab 1983 war Zeilinger Assistent an der Technischen Universität (TU) Wien, 1988 erhielt er eine Lehrstuhlvertretung an der TU München. 1990 wurde er schließlich als Professor an die Universität Innsbruck berufen und legte dort das Fundament für die heute zur Weltspitze zählende österreichische Quantenphysik.

1999 wechselte er schließlich an die Universität Wien, wo er das Institut für Experimentalphysik leitete und bis zu seiner Emeritierung 2013 als Professor tätig war.

2003 gründete er außerdem gemeinsam mit Physiker-Gruppen der Universität Innsbruck um Rainer Blatt, Rudolf Grimm, Peter Zoller und Hans Briegel das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Fachlich gilt Zeilinger unter Kennern vor allem als begnadeter Experimentator, dem es in ausgefeilten Versuchen gelingt, neue Zusammenhänge aufzudecken und gängige Theorien zu bestätigen oder zu widerlegen.

Dabei hat er sich mit technischer Präzision und intellektueller Weitsicht immer wieder auch mit Grundfragen der Quantenphysik beschäftigt.

Berühmt mit Teleportation: Fernübertragung von exakter Information

Diese Auseinandersetzung führte zu einer Reihe von Ergebnissen, die international Aufsehen erregten. So entstand etwa Anton Zeilingers wohl bekanntestes Experiment auf dem Weg zur Realisierung der "GHZ-Zustände": die Teleportation.

1997 gelang Zeilinger erstmals die Teleportation von Lichtteilchen. Auch wenn es dabei nicht wie in "Star Trek" um Fernübertragung von Materie, sondern von exakter Information geht, wurde der Versuch mit "Beamen" verglichen bzw. gleichgesetzt.

Er selbst vermeidet solche Begriffe, hatte aber nie ein großes Problem damit; das Interesse der Öffentlichkeit war ihm damit sicher.

Auch wenn es ohne ein gewisses Maß an Eitelkeit wahrscheinlich nicht geht: Publicitygier schien nie ein Beweggrund für Zeilingers Vermittlungsarbeit gewesen zu sein, für die ihn der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten 1996 als "Wissenschafter des Jahres" ausgezeichnet hat.

Vielmehr ist es der Enthusiasmus für sein Fach, "er kann Begeisterung vermitteln, weil er selbst ein Begeisterter ist", wie er einmal beschrieben wurde.

Zum Interesse an seiner Arbeit trägt sicher bei, dass es sich dabei in vielen Fällen zwar um Grundlagenforschung par excellence handelt, es aber dennoch viele Anknüpfungspunkte zur Anwendung gibt.

Die erste verschlüsselte Geldüberweisung mittels Quantenkryptographie

So erkannten der Physiker und sein Team, dass sich schon lange bekannte Effekte aus der Quantenwelt für völlig neue Zwecke nutzen lassen, etwa die Quantenkryptographie.

Dabei wird das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung, bei dem zwei Teilchen wie durch Zauberhand auch über weite Strecken verbunden bleiben, zur abhörsicheren Übermittlung von Schlüsseln genutzt.

Dass dies möglich ist, zeigte Zeilinger erstmals 1999, fünf Jahre später demonstrierte er im Wiener Rathaus als Premiere eine mittels Quantenkryptographie verschlüsselte Geldüberweisung.

Mit der Vision eines weltumspannenden Quanteninternets vor Augen, schoben Zeilinger und sein Team die Grenzen der Verschränkung und der Teleportation immer weiter hinaus - in Lichtleitern durch einen Abwasserkanal unter der Donau hindurch, in die Atmosphäre zunächst quer über Wien und dann zwischen kanarischen Inseln.

Zeilinger wollte noch höher hinaus und engagierte sich - vergeblich - für einen europäischen Quantenkommunikationssatelliten. Den sollten dann die Chinesen bauen und 2016 unter dem Namen "Micius" starten.

Der Wiener Physiker war als Kooperationspartner mit dabei - hatte doch der Leiter des chinesischen Projekts, Pan Jian-Wei, bei Zeilinger an der Uni Wien promoviert.

2017 führte schließlich Zeilinger als ÖAW-Präsident mit seinem chinesischen Amtskollegen mithilfe von "Micius" das erste quantenverschlüsselte Videotelefonat durch.

Zeilinger, der 2019 einmal mehr zu den meistzitierten, und damit einflussreichsten Forschern Österreichs zählte, erregte damit erneut weltweite Aufmerksamkeit. Die American Physical Society (APS) kürte das "Quantentelefonat" zu einem der zehn Physik-Highlights des Jahres.

Autoritäten bedeuten ihm nichts

Trotz aller Sympathie für Öffentlichkeit und Anwendung seiner Forschungen bleibt Zeilinger nach eigenen Angaben Grundlagenforscher, sein großes Interesse gilt dem Ziel, mehr Wissen über unsere Welt anzusammeln.

"Ich könnte den Rest meines Lebens damit verbringen, irgendwelche Technologien zu entwickeln, aber das interessiert mich nicht", betonte er im APA-Gespräch und verweist auf eine Serie neuer Experimente, die er in seiner Gruppe zu "ganz fundamentalen Fragestellungen" gestartet hat.

Autoritäten und Grenzen hätten ihm schon als Schüler nichts bedeutet, erinnerte sich Zeilinger einmal. Diese Einstellung hat er sich bis heute erhalten und sich nie gescheut, zu aktuellen Themen Stellung zu nehmen und sich auch hochschulpolitisch zu engagieren.

Konsequent verfolgte er etwa die Idee, in Österreich eine Spitzenforschungseinrichtung zu etablieren. Er konnte die Politik für die Idee gewinnen und 2009 wurde das Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg eröffnet. Im selben Jahr gründete Zeilinger die Internationale Akademie Traunkirchen, in der begabte junge Menschen gefördert werden.

2013 wurde er zum Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gewählt und 2017 für eine weitere Amtszeit bestätigt. Er hat die Akademie nach einigen turbulenten Jahren unter seinen Vorgängern in ruhige Fahrwasser geführt, wobei ihm Kritiker einen autoritären Führungsstil vorwerfen.

Der ewige Nobelpreis-Kandidat

Immer wieder wird er als Nobelpreis-Kandidat gehandelt, auch wenn er realistisch bleibt ("Es gibt so viele andere Kandidaten auch"). Ehrungen hat er dennoch unzählige bekommen: 2001 erhielt er mit der Aufnahme in den Orden "Pour le Merite" die höchste Wissenschaftsauszeichnung Deutschlands und mit dem Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst die höchste Ehrung für Wissenschafter Österreichs.

2005 bekam er den saudiarabischen "King Faisal Preis", 2007 die erstmals vergebene "Isaac Newton Medaille" des "Institute of Physics", letztere für "seine bahnbrechenden konzeptionellen und experimentellen Beiträge zu den Grundlagen der Quantenphysik, die zu Meilensteinen der sich rasch entwickelnden Forschung im Bereich der Quanteninformation geworden sind".

Feiern? Zeilinger wartet auf den 80er

Ganz ähnlich wurde 2010 die Verleihung des renommierten Wolf-Preises an Zeilinger begründet. Zum 70er gab es 2015 das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, 2017 folgten der John-Stewart-Bell-Preis, 2019 der chinesische Micius-Preis.

Der Physiker ist zudem Fellow der American Association for the Advancement of Science (AAAS) und Mitglied etlicher Wissenschaftsakademien.

Seinen 75. Geburtstag wird Zeilinger mit der Familie feiern, eine zu diesem Anlass geplante Konferenz musste aufgrund der Corona-Krise abgesagt werden. Die Tagung im Herbst nachzuholen, hält er nicht mehr für richtig, "warten wir halt auf den 80er".

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