ME/CFS: Antworten auf offene Fragen suchen
In die Öffentlichkeit rückte die Erkrankung nach der COVID-19-Pandemie. Tatsächlich existiert ME/CFS, kurz für Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom, schon viele Jahre und wird von der WHO bereits seit 1969 beschrieben. „Was genau ist ME/CFS?“, will Moderator Markus Hengstschläger wissen. Könnte man das erklären, wäre viel gewonnen, antwortet Lukas Haider. „Wir haben die Erkrankung phänomenologisch verstanden, aber was mechanistisch passiert, ist für uns im Wesentlichen unklar.“ Barbara Karlich kommt auf die Symptome zu sprechen. „ME/CFS-Patient*innen leiden unter extremer Müdigkeit“, sagt sie. „Ist das das alleinige Merkmal?“ Das sei die kürzeste Zusammenfassung, erwidert Lukas Haider. „Historisch hat es immer schon Berichte über postvirale Erschöpfungssyndrome gegeben“, erzählt der Radiologe. „Doch welche anderen Symptome dazukommen, ist unspezifisch.“ Ein Leitsymptom sei die Post-Exertionelle Malaise (PEM), so der Forscher weiter, womit die allgemeine Verschlechterung des Zustands der Patient*innen nach geringfügiger körperlicher und/oder geistiger Anstrengung gemeint sei. „Das bedeutet, wir haben bei ME/CFS einen Trigger, der eine sehr tiefe Erschöpfung auslöst, sodass die Betroffenen zum Beispiel nicht mehr aus dem Bett kommen“, sagt Haider. „Allerdings gibt es einen variablen Delay, also eine Verzögerungsphase zwischen 12 und 24 Stunden.“
Das will Barbara Karlich genauer wissen: „Was kann so ein Trigger sein?“ Auch das sei unterschiedlich, antwortet der Radiologe. „Es kann emotionaler oder physischer Stress sein, so kann etwa auch eine Studienmaßnahme ein Trigger sein“, so Haider. „Und das stellt uns natürlich vor Probleme: Wir müssen bei ME-CFS-Studien sehr behutsam sein, um keinen Crash auszulösen, denn das würde dazu führen, dass wir Patient*innen wahrscheinlich nachträglich schädigen, weil sich viele von dieser PEM nicht erholen.“
Die Sache mit der Diagnose
Markus Hengstschläger weiß, dass in Österreich etwa 70.000 bis 80.000 Personen unter ME/CFS leiden. „Wie viele von den Patient*innen sind so schwer betroffen, dass sie das Bett nicht mehr verlassen können?“, will er wissen. Man gehe von etwa 15.000 Betroffenen aus, erzählt Lukas Haider. „Wie lange hält dieser Zustand an“, will Barbara Karlich wissen. „Und ist ME/CFS heilbar?“ Auch das sei unterschiedlich, antwortet der Radiologe. „ME/CFS kann Jahre dauern“, so Haider. „Und eine kausale Therapie gibt es derzeit nicht.“ Markus Hengstschläger bringt ein weiteres Problem in die Diskussion ein. „Passiert es den Betroffenen, dass ihre Erkrankung als psychisches Problem abgetan wird?“, will er wissen. Das sei in der Geschichte der Medizin oft so gewesen, erwidert der Experte. „Multiple Sklerose war auch lange Zeit als psychisches Problem abgestempelt“, sagt er. „Erst der Neurologe Jean-Martin Charcot kam darauf, dass das Myelin betroffen ist.“ Weitere Beispiele seien Parkinson oder Ulzera, eine Erkrankung der Magen-Darm-Schleimhaut. „Ich will nicht sagen, dass es schlecht ist, eine Gesprächstherapie zu machen – ganz im Gegenteil“, fasst Haider zusammen, „Aber man kann noch so viele Psychotherapien machen, man wird sich Erkrankungen nicht weg reden können.“
Spontan gefragt: Lukas Haider und Barbara Karlich
Bei vielen Erkrankungen geben Marker, etwa im Blut, Aufschluss darüber, ob man betroffen sei, sagt Markus Hengstschläger: „Gibt es so etwas bei ME/CFS nicht?“ Lukas Haider verneint. „Wir kennen keinen etablierten Marker, der ME/CFS definiert“, betont er. „Wir können nur von klinischen Symptomen ausgehen. Deswegen ist in der Forschung derzeit das große Thema, Biomarker zu finden.“ Barbara Karlich will wissen, wie die Diagnose getroffen wird. „Indem man alle biologisch leicht erfassbaren Ursachen für Schwererschöpfung durch Differenzialdiagnosen ausschließt“, antwortet der Radiologe. „Aktuell passiert das mit einer Checkliste, die man Punkt für Punkt abarbeitet.“
Nur Forschung bringt weiter
„Der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds hat gemeinsam mit der WE&ME Foundation eine Kooperation gegründet, um die Forschung an ME/CFS voranzubringen“, leitet Markus Hengstschläger zum nächsten Thema über. „Worum geht es in deinem Projekt?“ Da muss der Radiologe ein wenig ausholen. Eine Ursache für ME/CFS könne in einer Sauerstoffnutzungsstörung liegen. „Wir wollten nicht nur beobachten und vergleichen, sondern einen Stimulus setzen, der Relevanz hat“, so der Wissenschafter weiter. „Also haben wir ein experimentelles Set-up geschaffen.“
Die Studienteilnehmer*innen bekommen über ein Gerät Sauerstoff in einer bestimmten Sättigung zugeführt, während sie einer Magnetresonanz-Tomografie unterzogen werden. „Wir versetzen sie sozusagen auf einen Berg mit etwa 3.500 Metern“, erklärt Haider. Ob da nicht die Gefahr eines Crashes bestehe, will Barbara Karlich sofort wissen. „Das war für uns eine Gratwanderung“, gibt der Radiologe zu. „Aber das Set-up ist so gewählt, dass es nicht passiert.“ Was man so herausfinden könne, kommt schon Karlichs nächste Frage. „Wenn ME/CFS mit dem Energiemetabolismus des Gehirns zusammenhängt und ich nehme diesem etwas Sauerstoff weg, den es braucht, können wir das vielleicht so herauskitzeln“, antwortet Lukas Haider.
Ob somit künftig eine Diagnose über die Radiologie möglich sein könne, will Markus Hengstschläger wissen. Lukas Haiders Antwort fällt knapp aus: „Ich erwarte, dass es in die Richtung geht.“ Barbara Karlich beschäftigt noch ein Punkt „Sind die Studienteilnehmer*innen Betroffene?“ Lukas Haider bestätigt dies. „Die Bereitschaft der ME/CFS-Community an Forschungsprojekten teilzunehmen, ist extrem positiv“, erzählt er. „Wenn sie das, was wir machen, für plausibel halten, sind sie bereit mitzuhelfen. Es hat sich eine positive Aufbruchstimmung breit gemacht.“ Abschließend will Markus Hengstschläger noch wissen, was ME/CFS-Patient*innen helfen würde. „Wenn die Beschlüsse, die auf politischer Ebene gefasst wurden, auch umgesetzt werden“, bringt Lukas Haider es auf den Punkt. „Dann gäbe es in allen Bundesländern ME/CFS-Zentren, was den Betroffenen sehr helfen würde.“
Lukas Haider
Lukas Haider ist Privatdozent an der klinischen Abteilung für Neuroradiologie und Muskuloskelettale Radiologie am AKH Wien. Nach Studien in Wien, London und Amsterdam ist er seit 2022 Consultant für diagnostische Neuroradiologie an der MedUni Wien. Er hat mehrere Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Venia Docendi der MedUni oder den Arthur Schüller Preis der Österreichischen Neuroradiologischen Gesellschaft. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt darauf, Erkrankungen des zentralen Nervensystems mittels MRT sichtbar zu machen.
Barbara Karlich
Nach ihrer Matura studierte die gebürtige Burgenländerin Publizistik, Psychologie sowie Theaterwissenschaft in Wien. Nach einem Volontariat beim ORF Burgenland arbeitete Barbara Karlich als Radiomoderatorin, bevor sie zum Fernsehen kam. Ihr ORF-Talkformat „Die Barbara Karlich Show“ wurde von 1999 bis 2025 ausgestrahlt. Seit Kurzem ist sie mit der neuen Sendung „Barbara Karlich unterwegs“ on air, für die sie spannende Menschen daheim und in ihren Jobs besucht. Zudem ist sie mit dem Film „Zuagroast“ auf JOYN zu sehen. Sie lektoriert Bücher und leitet den Barbara-Karlich-Buchclub, der auch als Podcast verfügbar ist.
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