Neue Medikamente: Die umprogrammierte Müllabfuhr

Menschliche Zellen teilen sich – für Wachstum, Reparatur und zum Erhalt des Körpers. Der Mechanismus ist Teil der Evolution. Dabei kann es auch zu Mutationen kommen, zu Zellen, deren Erbgut sich verändert hat. Ein Fehler bei der Zellteilung, der die Zelle schädlich für den Körper macht. Genau diesen schädlichen Proteinen einer Zelle widmet sich ein internationales und multidisziplinäres Forscherteam am von der Österreichische Akademie der Wissenschaften gegründeten AITHYRA, dem neuen Institut für Künstliche Intelligenz (KI) in der Biomedizin.
100 Mal aktiver
Prinzipiell wird der Körper auch mit mutierten Proteinen fertig. Er kennt dazu vor allem zwei zelluläre Abbauprozesse: die Autophagie, bei der Zellbestandteile und ganze Organellen abgebaut werden, und die Proteolyse. Dabei werden einzelne Proteine verstoffwechselt. „Vereinfacht gesagt, ist das Problem, dass mutierte Proteine oft vielfach aktiver sind und der Körper auf natürlichem Wege nicht mehr mit dem Abbau hinterher kommt“, sagt Dr. Georg Winter, Direktor für Life Sciences bei AITHYRA. Eine Behandlung mittels Medikamenten unterstützt die befallenen Zellen, um das Ungleichgewicht zwischen schädlichen und gesunden Proteinen zu beseitigen. Dazu blockieren konventionelle Arzneimittel schädliche Proteine mit einem komplementären Wirkstoff. Allerdings funktioniert das nur in 20 Prozent der Fälle. „80 Prozent der Proteine funktionieren über andere Wirkmechanismen“, so Winter. Das Ziel von Winter und seinem Team: Krankmachende Proteine sollen nicht blockiert, sondern vollständig abgebaut werden.
Umprogrammieren
Im gezielten Proteinabbau versuchen die Forscher*innen, die körpereigene Müllabfuhr (E3-Ligase) durch Medikamente mit krankmachenden Proteinen in Kontakt zu bringen, damit diese zum Abbau markiert werden. Molekulare „Klebstoffe“ werden dazu identifiziert, die es ermöglichen, die Schadproteine spezifisch zu markieren und so leichter und schneller abzubauen. „Wir greifen in die Ligase ein und programmieren sie um“, sagt Winter. Seit über zehn Jahren arbeitet der Biochemiker daran und das mit großem Erfolg: „Derzeit befinden sich über 30 Medikamente in klinischen Studien, mit denen versucht wird, die Ligase umzuprogrammieren.“ Die vielversprechendsten Medikamente befinden sich kurz vor der klinischen Zulassung. „Ich rechne damit, dass Pharmafirmen Brustkrebsmedikamente nächstes Jahr auf den Markt bringen, die in resistenten Tumoren wirksamer sind als die bisherigen.“ Aber nicht nur die Krebstherapie kann damit erfolgreicher werden. Winter: „Ich erwarte mir auch bei anderen Krankheiten viel Bewegung. Immerhin ist das die Basis, einer neuen Art, Medikamente zu entwickeln.“

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