CO2-Reduktion: Wenn die Baumrinde atmet

Hätten Sie gewusst, dass ein Baum, der keine Blätter trägt, dennoch in der Lage ist, Photosynthese zu betreiben? In der Tat können Bäume auch ohne Blätter einen aktiven Beitrag zur CO₂-Reduktion leisten – und zwar über ihre Rinde. Und das ist bislang ein stark unterschätzter Mechanismus im globalen Kohlenstoffkreislauf. Seit März 2023 widmet sich eine Forschungsgruppe der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU University), unterstützt vom FWF (Österreichischer Wissenschaftsfonds), mit der sogenannten kortikulären Photosynthese, also der Photosynthese in der grünen Rindenschicht. Aktuell werden jeweils 12 Bäume der Arten Blumenesche, Zürgelbaum und Ginkgo untersucht. Assoc. Prof. Daniel Tholen und sein Team haben dazu eine innovative Gasaustauschkammer entwickelt, mit der sich der Gasaustausch an der äußeren Rinde präzise messen lässt. „Das war viel Entwicklungsarbeit. Denn bisher gab es nur Standardlösungen für Blätter“, sagt Tholen. Die Daten werden gerade ausgewertet. Schätzungen zufolge kann die Borken-Photosynthese etwa 10 bis 15 Prozent zur gesamten Kohlenstoffbilanz eines Baumes beitragen.
Lebenswichtige Prozesse
Gerade Laub abwerfende Bäume können auch in den laubfreien Jahreszeiten (Herbst, Winter und dem frühen Frühjahr) aktiv CO₂ aufnehmen und Sauerstoff abgeben. Die Photosynthese in der grünen Rindenschicht ergänzt die klassische Blatt-Photosynthese. Laut wissenschaftlicher Literatur können CO₂-Konzentrationen im Stammgewebe um bis zu 25 Prozent steigen – was wiederum die Photosyntheseleistung der Rinde ankurbelt. Tholen: „Kleine Strukturen, sogenannte Lentizellen, spielen eine zentrale Rolle beim Austausch von CO₂ und Wasserdampf – insbesondere an jungen Zweigen.“ Neben den Gaswechselmessungen setzt das Team, zu dem auch Dipl.-Ing. Ines Münchinger, Dr. Anne-Charlott Fitzky und Dr. Benjamin Hesse gehören, auf die Methode der stabilen
Isotopenverfolgung. Damit untersuchen die Wissenschafter*innen, wie der durch die Rinde aufgenommene Kohlenstoff zur Entwicklung junger Blätter im Frühling beiträgt.
Resiliente Stadtbäume
Bei Hitze, Trockenheit oder Schädlingsbefall kann die Blattphotosynthese stark eingeschränkt sein. Bäume mit aktiver Rinden-Photosynthese zeigen sich hier widerstandsfähiger – eine Eigenschaft, die für die Auswahl künftiger Stadtbaumarten entscheidend sein könnte. Die lokale Photosynthese in der Rinde liefert den Kohlenstoff, der für den Wundverschluss und die Zellreparatur benötigt wird – wichtige Funktionen für Bäume in stressreichen Umgebungen wie versiegelten Böden oder Hitzeinseln. „Die Rinden-Photosynthese ermöglicht, dass der Baum besser mit Stress umgehen kann. Wir wollen herausfinden, warum und welche Vorteile der Baum daraus hat“, sagt Ines Münchinger. Im kommenden Sommer steht ein groß angelegtes Experiment an. Untersucht wird, wie sich anhaltende Trockenheit auf die Rinden-Photosynthese auswirkt – eine wichtige Frage in Zeiten zunehmender klimatischer Extreme.

Kommentare