Auf den Punkt gebracht

Die Stabilität der Demokratie gerät weltweit ins Wanken. Sehen Sie dadurch die Freiheit der Wissenschaft gefährdet?
Michael Stampfer: „Und wie! Wissenschaft heißt: alle Wissenschaften. Und es gibt immer Fächer und Gebiete, die gleich
gebissen, verleumdet, zurückgedrängt und finanziell ausgetrocknet werden, wenn die Feinde der Demokratie das Oberwasser bekommen.“
Sebastian Schütze: „Nur in Demokratien ist die Freiheit der Wissenschaft gewährleistet. Die Entwicklungen in den USA sind besorgniserregend und zeigen, wie schnell die Wissenschaft unter Druck geraten kann.“
Barbara Schober: „Die Geschehnisse in den USA – das heißt die Maßnahmen zur Umsetzung von ,Project 2025‘ – machen sehr deutlich, dass die Freiheit der
Wissenschaft derzeit weltweit in ihren Grundfesten erschüttert wird. Wir haben uns nicht nur in Sicherheitsfragen sondern auch in Sachen Forschung vielfach auf die USA
verlassen. Aus meiner Sicht stehen wir hier vor einem historischen Wendepunkt.“
Heinz Fassmann: „Demokratie und Wissenschaft sind kommunizierende Gefäße. Sind die demokratischen Grundfesten nicht mehr stabil, gerät auch die Wissenschaft unter Druck. Leider ist die Freiheit der Wissenschaft in vielen Staaten in Gefahr. Die Politik mischt sich ein, was erforscht werden soll – und was nicht. Die Autokraten lenken die Wissenschaft für ihre Zwecke, für die Wissenschaft ist das eine ausgesprochen schlechte Entwicklung.“
Dietrich Haubenberger: „Freiheit der Wissenschaft ist kein passiver Zustand, sondern benötigt aktiven Schutz und Förderung. Wissenschaftsfreiheit gedeiht nur in starken Demokratien.“

Univ.-Prof. Sebastian Schütze, Rektor der Universität Wien
Welche Angriffe auf die Wissenschaft bereiten Ihnen Kopfzerbrechen und welche Folgen können diese haben?
Barbara Schober: „Wenn der amerikanische (!) Vizepräsident wörtlich sagt, bzw. zitiert, ,the professors are the enemy‘ und politisch motiviert Daten gelöscht, Forschungsprogramme zum Thema Umwelt komplett gestoppt, Kolleg*innen entlassen und Unifinanzierungen blockiert werden, finde ich das sehr bedrohlich. Nicht nur als Grundhaltung, es wird uns wichtiges Wissen fehlen, um Lösungen für große Herausforderungen unsrer Zeit zu finden – z.B. Kilmawandel, Reaktionsfähigkeit auf mögliche neue Pandemien. Es ist unabdingbar nötig, dass Europa hier aktiv wird, aber viele Dinge lassen sich nicht schnell kompensieren.“
Heinz Fassmann: „Die Angriffe sind so vielfältig, dass die Auswahl schwerfällt. Wir beobachten direkte Angriffe auf Forschende, registrieren budgetäre Kürzungen unliebsamer Institutionen und müssen direkte Einflussnahmen auf die wissenschaftlichen Inhalte zur Kenntnis nehmen. In den USA sind etwa die
Gesundheitswissenschaften erheblich unter Druck, in Russland die Geistes- und Sozialwissenschaften, die gesellschaftliche und politische Zustände kritisch analysieren, und im Iran die Teilchenphysik, die am Atomprogramm mitarbeiten muss. Die Liste ist leider unvollständig.“

Dr. Dietrich Haubenberger, Ratsmitglied des FORWIT, Neurocrine Biosciences Inc., San Diego/USA
Michael Stampfer: „Viele, aber nennen möchte ich drei: die Überhöhung derjenigen Outlier-Positionen, die schwach und schlecht begründet sind.
Folge: die sogenannte falsche Balance, dass alles gleich richtig ist. Das ist ein Angriff von außen und innen gleichermaßen. Zweitens: die Finanzierung von akademischen Leugnern des menschengemachten Klimawandels durch Big Oil und Freunde. Folge: Bremsen von nötigem Handeln. Drittens die Ankündigung eines Regierungsjournals, mit dem US-Forschende in Biologie und Medizin gezwungen werden sollen, im Fall einer Förderung dort zu publizieren. Folge: Zensur.“
Dietrich Haubenberger: „Politische Instrumentalisierung ist Gift für die Wahrheitsfindung. Der Staat soll Rahmenbedingungen schaffen, dann aber die Finger von der Wissenschaft lassen. Jeder politisch motivierte Eingriff untergräbt das Vertrauen in evidenzbasierte Erkenntnis.“

Univ.-Prof. Barbara Schober, Dekanin der Fakultät für Psychologie, Universität Wien
Drehen wir nun den Spieß um: Inwiefern benötigt eine stabile Demokratie die Wissenschaft?
Sebastian Schütze: „Wissenschaft liefert Argumente für sachliche, faktenbasierte Debatten und eine kritische Diskussionskultur. Im Moment sehen wir weltweit leider das genaue Gegenteil. Populistische, ,postfaktische’ Argumente dominieren zunehmend die Politik und schwächen die Demokratie.“
Heinz Fassmann: „Wissenschaftler*innen sind in der Regel keine willfährigen Ja-Sager. Sie erfassen ,Realität‘ nach objektiven Kriterien und sie kritisieren, wenn notwendig, aber nicht aus parteipolitischer Motivation heraus, sondern aufgrund von Daten und Fakten. Das ist manchmal unbequem, muss eine Demokratie aber aushalten. Diktaturen halten das nicht aus, deswegen wollen sie die Wissenschaft kontrollieren und sich nicht von ihr kontrollieren
lassen. “

Dr. Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts-, Forschungs-, Technologiefonds (WWTF)
Dietrich Haubenberger: „Demokratie ohne Wissenschaft ist blind. Nur faktenbasierte Politik kann komplexe Herausforderungen wie Klimawandel oder Pandemien bewältigen. Wissenschaft liefert das Fundament für rationale Entscheidungen – das Gegengift zu Populismus.“
Michael Stampfer: „Demokratie braucht werte- und faktenbasierten Streit. Die konstante Fragilität und Möglichkeit der Selbstkorrektur in Politik und Gesellschaft ist ihr Lebensmerkmal. Wissenschaft leistet einen wichtigen Beitrag zu den Fakten, aber auch zu den Werten … und auch zur Selbstkorrektur.“
Barbara Schober: „Wir leben in einer Zeit voller Unsicherheit und Komplexität . Einfache Lösungen gibt es nur wenige für Themen wie Klimakrise, gesellschaftliche Polarisierung, Umgang mit Kriegen etc. Gerade in solchen Situationen werden aber oft ideologische Lösungen stark, sie wirken einfach und verführerisch heilbringend. Sie werden uns aber nicht weiter bringen und werden zudem noch mehr polarisieren. Eine stabile Demokratie benötigt daher die Wissenschaft, weil sie unabhängige, fundierte Erkenntnisse liefert, die für informierte Entscheidungen, für die Entwicklung von politischen Strategien und die Lösung gesellschaftlicher Probleme unerlässlich sind.“

Univ.-Prof. Heinz Fassmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)
Trägt die Wissenschaft auch selbst schuld an aktuellen Situation – und wenn ja, inwiefern?
Dietrich Haubenberger: „Wissenschaft versagt, wenn sie Scharlatanen das Feld überlässt. Wo echte Forschung schweigt, füllen Pseudo-Experten und politisch motivierte Agitatoren das Vakuum. Wissenschaftler müssen lauter werden.“
Sebastian Schütze: „Es bleibt eine vordringliche Aufgabe der Wissenschaft, ihre Ergebnisse noch stärker in die Gesellschaft hineinzutragen. Wie Wissenschaft funktioniert und welchen fundamentalen gesellschaftlichen Beitrag sie leistet, müssen wir noch plastischer kommunizieren. Das neue, gemeinsam von der Universität Wien, der Technischen Universität Wien und der ÖAW betriebene Austrian Science Communication Center wird 2027 eröffnen und hier einen wichtigen Beitrag leisten.“
Barbara Schober: „Ich sehe für die Wissenschaft v.a. in einem Feld noch weiteren Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten: Es sollte verstärkt in Schritte investiert werden, die Vertrauen in die Wissenschaft fördern und für die Gesellschaft verstehbar machen, was Wissenschaft ist und was sie leistet. Hier wurde lange übersehen, wie wichtig das ist.“
Michael Stampfer: „Die Wissenschaften erinnern mich an eine große Reihe einzelner Zünfte mit eigenen Karriere- und Produktionsbedingungen. Eine österreichische Uni ist sogar Teil einer internationalen Uni-Vereinigung, die sich ,The Guild’ nennt! Schuld ist hier irgendwie die falsche Kategorie. In den
Fällen, wo die Zunftordnung deutlich wichtiger ist als die dynamische Außenwelt, kann dieser eigenartige Eindruck von Schuld aber entstehen. “
Heinz Fassmann: „Die aktuelle Situation wird von den Autokraten dieser Welt bestimmt. Ich kann keine Mitschuld bei den Forschenden, die an Entwicklung von Impfstoffen arbeiten, bei den Geistes- und Sozialwissenschaftlern, die ihrer Aufgabe nachkommen oder bei den
Physikern, die sich mit den kleinsten Bausteinen der Elemente befassen, feststellen. Insbesondere dann nicht, wenn sie sich aus dem parteipolitischen Geplänkel heraushalten und nicht Teil einer politischen Bewegung werden.“
Was ist unumgänglich, damit sowohl die Demokratie als auch die Wissenschaft gestärkt aus dieser Krise hervorgehen können?
Heinz Fassmann: „Die Krise sehe ich in vielen Staaten der Welt, aber nicht in Österreich und nicht in der EU. Dennoch sollten wir wachsam sein und für eine Aufwertung von Wissenschaft und Forschung plädieren – als Garant für Demokratie und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Und zur Aufwertung gehören auf der Europäischen Ebene ein starkes und unabhängiges Nachfolgeprogramm von Horizon Europe und in Österreich eine Realisierung des Regierungsprogramms ohne Wenn und Aber. Die Erhöhung der Ausgaben für Forschung auf 4% des BIPs ist dabei ein zentrales Ziel. Politische Entscheidungen sind dafür aber noch ausständig.“
Sebastian Schütze: „Wissenschaft und Politik müssen einander auf Augenhöhe begegnen, gemeinsam Verantwortung übernehmen und vermitteln, wie stark Freiheit der Wissenschaft, gesellschaftlicher Fortschritt und demokratische Grundordnung einander bedingen, wie stark Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort zusammenhängen und wie stark der Wohlstand im Lande abhängig ist von technologischer Innovation, aber auch von der Weiterentwicklung gesellschaftlicher Rahmendiskurse und der Qualität von Bildung und Ausbildung.“
Michael Stampfer: „Vonseiten der Wissenschaften: über eigene Fehler reden, auf Pluralität, Werthaltungen und Veränderbarkeit von Wissen(-schaften) hinweisen, laut die Demokratie verteidigen. Das mit dem Krebs und der Kernfusion verzeihen wir euch eh. Vonseiten der Demokratie: Die
Demokratie sind wir alle. “
Dietrich Haubenberger: „Kritisches Denken muss bereits in der Schule beginnen. Die Gesellschaft muss lernen, Fakten von Meinungen zu unterscheiden. Wer schweigt, stimmt zu. Deshalb: aufstehen, sprechen, verteidigen – für Wissenschaft und Demokratie gleichermaßen.“

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