Schlucken statt spritzen: Eine Insulin-Tablette für Diabetiker?

Schlucken statt spritzen: Eine Insulin-Tablette für Diabetiker?
Die Pille soll so gut wirken wie eine Spritze. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Für Millionen Diabetiker weltweit ist es ein bislang unerfüllter Traum: Insulin als Tablette anstelle von Spritzen. Seit Jahren wird an der Pille geforscht, bisher scheiterte es jedoch meist daran, dass das Insulin im Darm abgebaut wird – bevor es überhaupt wirken kann. Forschern der Harvard Universität in den USA gelang es nun, Substanzen zu entwickeln, die den Abbau im Darm verhindern.

Diese helfen auch dabei, dass das Insulin den Darm passieren und über die Blutgefäße aufgenommen werden kann. Versuche mit Ratten zeigten, dass eine Tablette mit niedriger Insulindosis den Blutzuckerspiegel deutlich absenkte. Die Effekte hielten bis zu zwölf Stunden an. Bei höherer Dosis sank der Blutzuckerspiegel um bis zu 45 Prozent.

Nicht erster Versuch

Alexandra Kautzky-Willer, Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, ist dennoch vorsichtig mit Euphorie: „Im Unterschied zu bisherigen Versuchen ist die hohe Bioverfügbarkeit dieser Tablette schon besonders – es konnten tatsächlich die Konzentrationen gemessen werden, die wir derzeit als Injektion verabreichen. Ich glaube aber nicht, dass es die Tablette so bald geben wird – vorerst waren die Versuche nur an Ratten erfolgreich.“ Indische Forscher hatten im Jahr 2017 mit einer ähnlichen Erfolgsmeldung aufhorchen lassen. Auch in ihren Tests wurde das Insulin mit einer Schutzschicht ummantelt. Auch hier gelang es, dass es nicht abgebaut wurde. „Das Problem war, dass 50-mal höhere Konzentrationen des Insulins notwendig waren, um den Effekt der Spritze zu erreichen. Die Tablette ist wegen der deutlich höheren Kosten nie in Produktion gegangen“, erklärt Kautzky-Willer.

Spray und Creme

Aus demselben Grund wurde auch die Forschung an einem vielversprechenden Spray zum Inhalieren eingestellt. Geforscht wird außerdem an Cremes, die eine Insulinaufnahme über die Haut ermöglichen sollen. Für Kautzky-Willer ist die Insulintablette zwar die „spannendste Variante“. Doch selbst wenn sie mit vergleichbaren Kosten wie die Spritzen produziert werden könnte, gebe es offene Fragen, etwa welche Insulinart damit verabreicht wird. „Wir haben mittlerweile Designerinsuline – manche wirken ganz rasch, sodass Typ-1-Diabetiker sie kurz vor dem Essen spritzen können. Typ-2-Diabetiker brauchenhingegen zunächst meist nur Langzeitinsulin, wo es bereits Spritzen gibt, die 24 Stunden und länger wirken. Es wäre sehr viel Arbeit zu leisten, diese unterschiedlichen Therapieformen in Tabletten zu packen“, sagt die Diabetologin.

Unklar sei auch, wie die Insulintablette auf die Darmflora wirkt oder ob sie auch bei Menschen mit Magen-Darm-Erkrankungen hilft. Das Spritzen von Insulin sei zudem einfacher geworden. Bei vielen Typ-2-Diabetikern würde man sehr gut mit Medikamenten auskommen – die Patienten müssen nicht unbedingt Insulin spritzen.

Diabetes

Rund 645.000 Menschen in Österreich haben Diabetes. Bis 2030 sollen es 800.000 sein. 10 bis 15 Prozent haben Diabetes Typ 1, 85 bis 90 Prozent Typ 2.
Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem zerstört die Zellen, die Insulin bilden. Bei Typ 2 wird zwar genug Insulin produziert, seine Wirkung wird aber immer schwächer (Insulinresistenz).

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