Paare in Zeiten der Wahl: Wie politische Differenzen die Liebe belasten

Paare in Zeiten der Wahl: Wie politische Differenzen die Liebe belasten
Unterschiede in der Liebe sind normal - aber was, wenn sie die politische Haltung betreffen? Zwei Paartherapeuten erzählen.

Sie wählt erstmals rot. Er wählt plötzlich blau. Oder vielleicht umgekehrt. Und schon wird beim gemeinsamen Frühstück zu Kipferl und Kaffee über Parteiprogramme und Ideologien gestritten. 

Wie groß dieses Konfliktpotenzial ist, zeigten vor Kurzem die Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Studie der deutschen Online-Partnervermittlung „ElitePartner“ anlässlich der Deutschen Bundestagswahl: 62 Prozent sprechen offen über ihre Wahlentscheidung.  Zwar behauptet jedes vierte Paar, unterschiedliche politische Einstellungen zu haben, aber damit gut umgehen zu können (26 Prozent), doch jedes fünfte Paar hat deshalb schon gestritten (18 Prozent). Und jeder Siebte würde sich bei einer unliebsamen Wahlentscheidung trennen wollen. Wie sehr das Lieben und Verlieben in diesem Punkt an Grenzen stößt, spiegelt sich auch im Dating-Verhalten. Laut einer Umfrage der Dating-App Parship im Jänner 2025 sind unterschiedliche Polit-Präferenzen oft ein Anbahnungskiller. Mehr als jeder Zweite würde ein Date abbrechen, würden die politischen Ansichten stark voneinander abweichen. 

Was das für Partnerschaften bedeutet und welche Paar-Dynamiken dahinterstecken, erzählen Evelin und Klaus Brehm, Imago-Paartherapeuten. 

Paare in Zeiten der Wahl: Wie politische Differenzen die Liebe belasten

Evelin und Klaus Brehm

Ein Paar - viele Unterschiede

„Zunächst sei gesagt, dass es in jeder Paarbeziehung immer auch um den Umgang mit Differenzen geht. Egal, ob das einfache Themen wie Einrichtung, Essen, Ästhetik, Urlaub betrifft - oder die politische Einstellung. Wenn zwei zusammenkommen, gibt es immer Unterschiede“, sagt Klaus Brehm. Und da dreht sich dann alles um die Frage, was passiert, wenn der andere was Anderes möchte als man selbst. 

Dabei wesentlich ist, wie stark die Auswirkung der Differenz individuell erlebt und spürbar ist: „Je dogmatischer, desto schwieriger der Umgang damit. Unserer Erfahrung nach hat  aber jegliche Form von Dogmatik immer etwas mit der Loyalität zur Herkunftsfamilie zu tun, weil diese der Referenzrahmen für die eigene politische Einstellung ist. Und da geht man entweder damit konform oder sucht die Abgrenzung. Je geringer da die Fähigkeit der Akzeptanz ist, desto schwieriger wird das in der Paarbeziehung“, so Evelin Brehm.  

Dass solche Auffassungsunterschiede brisant werden können, zeigte sich in der Pandemie deutlich: „Da erlebten wir nicht wenige Menschen in der Praxis, wo der eine impfskeptisch war und der andere sich impfen lassen wollte. Ein Unterschied, der enorme Spannungen erzeugte. Denn je höher die Energie eines Konflikts ist, desto größer ist der daraus entstehende Bedrohungslevel, was eben immer auch etwas mit Loyalitäten zu tun hat - und mit der Emotionalität, die damit verbunden ist.“  

Eine Frage der Ich-Stabilität

Diese ist in Sachen „Politik“ meist besonders stark ausgeprägt. Vor allem dann, wenn es einst schwierig oder gar unmöglich war, auf sachlicher Ebene mit den eigenen Eltern darüber zu diskutieren. In diesem Fall neigen die Menschen dazu, aus der untersten Lade jede Kränkung von früher rauszuholen. "Dazu kommt der Aspekt der Ich-Struktur, im Sinne von: Wie stabil ist meine Identität – und wie stark kann ich diese hinterfragen?“, betont Evelin Brehm. Menschen, deren Identität und Ich-Struktur instabil ist, würden eher dazu neigen, gewissen Konzepten und Ideen anzuhaften, egal, ob religiös oder politisch. Werden diese dann infrage gestellt, schlittern manche in die Problemzone, weil sie das Gefühl haben, sie würden als Mensch per se infrage gestellt werden. 

Das Thema deshalb komplett auszusparen ist aus Sicht der Brehms trotzdem keine Option: „Weil damit ein wesentlicher Teil der Beziehung fehlt. Immer, wenn eine Form von ,Totschweigezone‘ in einer Partnerschaft existiert, muss viel Energie aufgewendet werden, um diese zu meiden. Und das wiederum verhindert, sich gemeinsam weiterzuentwickeln.“

Aus Sicht der Imago-Therapeuten wäre es stattdessen wichtig, die Welt des anderen zu betreten, im Versuch, diese zu verstehen. „Jeder Mensch ist richtig in seiner Welt und die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist zu versuchen, das Gegenüber auf diese Weise zu begreifen. Wir müssen diese Welt nicht akzeptieren, sondern einfach nur annehmen, indem wir etwa fragen: Warum bist du so? Warum denkst du das? Es ist ja auch der Sinn von Demokratie, unterschiedliche Ansichten auszuhalten“, so das Therapeuten-Duo.  

Eine partnerschaftliche Erforschungsreise ins Reich des jeweils anderen also, bei der die persönlichen Ansichten und Perspektiven für eine Weile beiseitegestellt werden, ohne Angst, die eigene Haltung aufgeben zu müssen. Hingegen würde jede Abwertung, jede Bewertung in eine Distanzierung führen, die die Beziehung massiv belastet. Weil: „Umso schlimmer die Abwertung, desto größer die Angst, die dahintersteckt und desto größer ist der Verlust der Liebe. Weil Angst ein Feind der Liebe“ ist, sagt Klaus Brehm. 

Politische Unterschiede könnten für Paare vielmehr eine Chance sein, neue Perspektiven einzunehmen und den eigenen Horizont zu erweitern: „Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ich mich wirklich interessiere, was der andere Mensch dazu denkt.  In dem Moment, wo es gelingt, mit echtem Interesse zuzuhören, öffnen sich neue Möglichkeiten -  abseits der Symbolebene und der emotionalen Bedürfnisse, die dahinterstecken."

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