Psychologie: Ändert sich unser Musikgeschmack mit dem Alter?

In Sachen Musik beschränkt man sich im Alter offenbar aufs Wesentliche, wie eine neue Studie zeigt.
Ob Spotify, Apple-, YouTube- oder Amazon-Music – die meisten Musik-Streamingdienste erstellen basierend auf den Vorlieben ihrer Nutzerinnen und Nutzer regelmäßig individuelle Songempfehlungen. Dadurch wird nicht nur der musikalische Horizont erweitert, sondern auch die Nutzung der Plattformen gefördert.
Ältere Nutzerinnen und Nutzer schätzen musikalische Empfehlungen möglicherweise weniger als jüngere. Das legen aktuelle schwedische Forschungen nahe. Eine umfassende Analyse von Hörerdaten aus 15 Jahren zeigt, dass der Musikgeschmack mit zunehmendem Alter weniger vielfältig wird.
Musikauswahl wird mit dem Alter individueller
Demnach genießen Teenager bereits ein breites Spektrum zeitgenössischer Popmusik. Im Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter erweitern sich die Musikgewohnheiten – es werden mehr Künstler und Genres entdeckt, das Hörverhalten wird vielfältiger. Mit zunehmendem Alter verengt sich das Spektrum wieder – die Musikauswahl wird individueller und stärker von früheren Erfahrungen geprägt.
"Wenn man jung ist, möchte man alles erleben. Man geht nicht zu einem Musikfestival, um nur eine bestimmte Band zu hören", wird Mitautor Alan Said von der Uni Göteborg in einer Aussendung zur Studie zitiert. "Wenn man erwachsen wird, hat man in der Regel einen Musikstil gefunden, mit dem man sich identifiziert – die Charts verlieren an Bedeutung."
Die Forschenden nutzten Daten des Online-Musikdienstes Last.fm, auf dem Nutzerinnen und Nutzer persönliche Musikprofile erstellen und ihr eigenes Hörverhalten nachvollziehen können. Da bei der Registrierung auch das Alter angegeben wird, war es möglich, die Hörgewohnheiten mit dem Alter zu verknüpfen. In die Studie flossen Daten von mehr als 40.000 Nutzerinnen und Nutzern ein.
Soundtrack des (mittleren) Lebens
Während Musik im Teenageralter innerhalb von Peergroups als verbindendes Element dient, löst sich der Musikgeschmack mit zunehmendem Alter von Gruppenzugehörigkeitsbestrebungen. Im mittleren Alter scheint vor allem Nostalgie die Musikvorlieben zu prägen: Hits aus der Jugend werden als identitätsstiftender "Soundtrack unseres Lebens" wahrgenommen.
Interessant ist die Studie insbesondere aufgrund des großen Datensets, sagt Musikpsychologin Manuela Marin. "Man kann mit den verfügbaren Nutzerdaten Rückschlüsse auf das Verhalten der Hörerinnen und Hörer ziehen, ohne auf Selbstauskünfte zurückgreifen zu müssen", sagt die Expertin.
Es gäbe allerdings schon länger Hinweise aus der psychologischen Forschung, die darauf hinweisen, dass Musikpräferenzen sich über die Lebensspanne hinweg verändern. "Das lässt sich auch gut mit dem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung erklären." Es beschreibt, wie Menschen im Laufe ihres Lebens in verschiedenen Lebensphasen grundlegende soziale und psychische Herausforderungen meistern müssen. "Das passt gut zu den neuen Ergebnissen, die zum Beispiel nahelegen, dass wir im Jugendalter noch sehr diverse Musik hören, weil wir uns erst selbst finden müssen, eine Identität ausbilden und ein autonomes Selbstkonzept entwickeln müssen", sagt Marin. Auch musikalische Subkulturen würden im Jugendalter allgemein eine größere Rolle spielen. "Wobei es beispielsweise im Bereich Heavy Metal auch Fangruppen gibt, die das ganze Leben von zentraler Bedeutung für Menschen bleiben."
Im jungen und mittleren Erwachsenenalter stünden oft andere Themen im Vordergrund, etwa die Suche nach einer stabilen Partnerschaft oder das Gründen einer Familie. "Man steht mit beiden Beinen im Leben – und blickt vielleicht eher auf das jüngere Ich zurück, indem man die Hits von früher hört. Womöglich auch verbunden mit Gefühlen der Nostalgie, wie es in der Studie angedeutet wird."
Auch die Persönlichkeit bestimmt den Musikgeschmack
Wissenschaftlich belegt ist auch, dass Musikvorlieben mit der Persönlichkeit zusammenhängen: "Hier bezieht man sich in Studien auf die Big Five: Fünf grundlegende Persönlichkeitsdimensionen – Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus –, die zusammen das menschliche Verhalten und Erleben beschreiben und eben auch unseren Musikgeschmack mitbestimmen." So bevorzugen Menschen mit einer ausgeprägten Offenheit für neue Erfahrungen etwa komplexe und kreative Musikgenres wie Jazz, klassische Musik, Rock, Folk oder Blues. Ein hoher Grad an Extraversion – diese Menschen sind oft gesellig, reden viel, sind aktiv und fühlen sich in Gruppen wohl – hängt wiederum mit einer Präferenz für Pop, Soundtracks, Country sowie Rap und Soul zusammen.
Quer durch alle Altersklassen sei Musik in puncto Emotionsregulation wesentlich: "Musik kann Gefühle verstärken, beruhigen oder verändern, wodurch Menschen ihre Stimmung steuern und Stress, Angst oder negative Emotionen besser bewältigen können."
Für Streaming-Dienste könnten die Erkenntnisse der Studie jedenfalls von großer Bedeutung sein, sind die Autorinnen und Autoren überzeugt. "Ein Dienst, der allen Nutzerinnen und Nutzern auf die gleiche Weise dieselbe Art von Musik empfiehlt, läuft Gefahr, die tatsächlichen Wünsche der unterschiedlichen Zielgruppen zu verfehlen", so Said. "Hörerinnen und Hörer mittleren Alters schätzen eine Balance zwischen Neuem und Vertrautem, während ältere Nutzer vor allem auf ihre persönlichen Vorlieben und nostalgischen Erinnerungen zugeschnittene Empfehlungen wünschen."
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