360 Liter Luft pro Stunde: Wie viel wir atmen, was Luft noch bewegt

So selbstverständlich wir Luft atmen – jeder Mensch verbraucht etwa 360 Liter pro Stunde –, so wenig denken wir über sie nach. Doch: „Luft geht uns alle etwas an. Sie ist unabdingbar für unsere Existenz“, schreibt Peter Adey. Der Professor für Humangeografie an der Royal Holloway University in London widmet sich in seinem neuen Buch „Luft“ dieser Lebensgrundlage in all ihren Facetten – weit über das Atmen hinaus.
Adey spannt einen großen Bogen: Er begibt sich in die Erdgeschichte zurück, fragt, woher die Luft kommt und wie sie sich über Jahrmillionen verändert hat. Er streift die Physik – Auftrieb, Vakuum, Luftdruck – und wechselt rasch in kulturhistorische Sphären wie die Geschichte der Luft als Medium des Fortschritts, etwa für die Entwicklung der Luftfahrt.
Kurze Anekdoten halten das Sachbuch lebendig. So berichtet Adey von der Geburt des ersten „Luftbabys“. Thomas W. Evans und seine Frau Margaret wollten, dass ihre Tochter im Flugzeug auf die Welt kommt. Das Mädchen erblickte in einer Fokker 1929 das Licht der Welt.
Peter Adey: „Luft. Eine Kultur- und Naturgeschichte“. Haupt, 227 Seiten, 29,95 Euro.
Genannt wurde es „Airlene“. Luft sei etwas, in das wir hineingeboren werden, zitiert der Autor die Philosophin Luce Irigaray.
Giftige Luft
Erstaunlich spät begannen Menschen, Luft zu begreifen. „Erschwert wurde das Verständnis der Luft zum Beispiel durch ihre fehlende Einheitlichkeit. Manchmal war Luft heiß, manchmal kalt; manchmal war sie Heilmittel, manchmal Gift“, schreibt Adey. Giftig war sie nicht zuletzt für die Arbeiter. Der Humangeograf lässt Friedrich Engels reden. Dieser beschrieb Luft in den Fabriken unter anderem als „pestilenzialisch“. Heilmittel war Luft in den Bergen. Und so findet auch Johanna Spyris Heidi ihren Platz im Buch. Heidi wird in der Stadt krank. Nur die Alpenluft konnte sie heilen – ganz dem damaligen Trend entsprechend.

Biosphere 2, eine Minierde in Arizona: Zu sehen ist eine Glaspyramide und ein weißes Gebäude.
Adey widmet sich aber auch der Luft in einer Endzeit: Biosphere 2, eine künstliche Miniaturerde, entstand in den 1980ern. Die echte Erde wird als verloren eingeschätzt und zugunsten der künstlichen geopfert. Doch sie lässt sich nicht nachbauen. „Wie üblich verweigerte sich die Luft“, schreibt Adey.
Der Autor liefert eine Lektüre, die leichtfüßig daherkommt – und dennoch kluge Denkanstöße zu einem Thema bietet, über das wir sonst kaum nachdenken.
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