Zahngesundheit: Der neue Kampf gegen Karies

Ein Kind beim Zähneputzen.
Zähne werden in der modernen Medizin nicht mehr als ein vom Körper isoliertes System betrachtet. Ihr Zustand hat große Auswirkungen auf unsere allgemeine Gesundheit.

Von Sabrina Kraussler

Karies ist eine Volkskrankheit: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit rund 2,5 Milliarden Menschen davon betroffen. Dabei sind nicht nur einzelne Zähne belastet, sondern der gesamte Körper, weiß Dr. Lana Čepić, Vizepräsidentin der Landeszahnärztekammer für Wien. „Zähne sind funktionell und stoffwechselmäßig eng mit dem gesamten Körper verbunden“, erklärt die Expertin. Unbehandelte Karies kann systemische Entzündungen begünstigen – ein möglicher Mitfaktor bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein jährlicher Kontrolltermin und Zähneputzen allein reichen aber nicht aus, so die Medizinerin im Interview mit KURIER leben.

Mit Supplements gegen Karies?

Immer mehr Zahnarztpraxen bieten Nahrungsergänzungsmittel an – ein Service, den viele auf den ersten Blick kritisch betrachten. Allerdings sprechen die Studien für sich: Neben einer gründlichen Zahnhygiene sei auch eine ausgewogene Ernährung und eine gezielte Nährstoffzufuhr entscheidend für gesunde Zähne, betont Čepić. „Unser Blick auf Karies hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Heute gilt dies nicht mehr als rein hygienebedingtes Problem, sondern als multifaktorielle Zahnhartsubstanzerkrankung – also eine Erkrankung, die durch viele verschiedene Einflüsse entsteht.“

Neueste Erkenntnisse

„Im Fokus der aktuellen Forschung stehen Mikronährstoffe wie Vitamin D, Vitamin K2, Magnesium und Kalzium. Diese beeinflussen sowohl die Entwicklung und Mineralisierung der Zähne als auch deren Widerstandsfähigkeit“, so Čepić. Vor allem Vitamin D wirke auf mehreren Ebenen, weiß die Zahnmedizinerin. Es reguliert den Kalzium- und Phosphathaushalt, stärkt das Immunsystem und hat Einfluss auf die Mundflora – also auf die bakterielle Zusammensetzung im Mundraum. „Vitamin K2 unterstützt die gezielte Einlagerung von Kalzium in Knochen und Zähnen.“

Orales Mikrobiom im Mittelpunkt 

Die Mundflora gerät derzeit besonders in den Fokus der Wissenschaft. So wie die Darmflora, stellt auch die bakterielle Zusammensetzung im Mund die Forschenden vor große Herausforderungen, denn die Einflussfaktoren sind vielfältig: „Hier wird intensiv untersucht, wie Ernährung, Zuckerzufuhr, Säurebelastung oder Mikronährstoffmangel das Gleichgewicht dieser Bakteriengemeinschaft beeinflussen“, so die Expertin. Karies entsteht durch säurebildende Bakterien, die Zucker verstoffwechseln und dabei den Zahnschmelz angreifen.

Ausgewogene Ernährung essenziell 

Die Ernährungsweise rückt immer stärker in den Fokus der Wissenschaft: „Eine zuckerreiche Ernährung und ein Mangel an bestimmten Nährstoffen wie Vitamin D, K2, Kalzium oder Magnesium beeinflussen die bakterielle Zusammensetzung im Mund“, so die Expertin. „Neben genetischen Faktoren spielen auch bestimmte Erkrankungen wie Diabetes mellitus eine Rolle. Dazu gehören Essstörungen wie Bulimie, Speicheldrüsenerkrankungen sowie ein gastroösophagealer Reflux. Auch die Einnahme von Medikamenten kann den Speichelfluss reduzieren oder die Mundflora verändern – etwa Antihistaminika, Antidepressiva, Antihypertensiva, aber auch Zytostatika oder Immunsuppressiva. Besonders wichtig ist die Ernährung. Sie hat großen Einfluss auf die Nährstoffversorgung des Körpers.“ Ein professioneller Blick in den Mund verrät zwar viel, aber: „Moderne Methoden wie Speicheltests, Vitamin-D-Messungen oder orale Mikrobiom-Analysen helfen Zahnärzten, Risiken früh zu erkennen und gezielt gegenzusteuern.“

Immer mehr Karies bei Kindern 

Wie aktuelle Daten bestätigen, sei auch die Zahngesundheit von Kindern nach wie vor ein Problem – „trotz Zahnbürste, Fluorid und Co.“, sagt Čepić. Laut der Österreichischen Zahnstatuserhebung aus den Jahren 2023 und 2024 haben nur 58 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen ein kariesfreies Milchgebiss. „Rund 29 Prozent der Kinder brauchen sogar eine akute zahnmedizinische Behandlung aufgrund unbehandelter Karies – das ist ein deutliches Warnsignal“, so die Expertin.

Kariesprävention im Mutterleib

Eine frühzeitige Erkennung ist besonders bei Kindern wichtig, aber vor allem auch bei Schwangeren. Ihre Nährstoffversorgung wirkt sich nämlich laut Untersuchungen deutlich auf die spätere Zahngesundheit ihrer Kinder aus: „Liegt der Vitamin-D-Spiegel von Schwangeren unter 35nmol/L, entwickeln deren Kinder im Alter von 4 bis 6 Jahren etwa doppelt so häufig Karies. Zusätzlich wurde nachgewiesen, dass ein pränataler Vitamin-D-Mangel mit Zahnschmelzdefekten und Mineralisationsstörungen im Milchgebiss verknüpft ist“, weiß Čepić. Sind die Kinder dann auf der Welt, gilt es, auch sie ausreichend mit Vitamin D zu versorgen – und zwar weit über das erste Lebensjahr hinaus. „Kinder mit niedrigen Vitamin-D-Spiegeln haben laut Studien ein erhöhtes Risiko, frühkindliche Karies zu entwickeln. In direkten Vergleichen weisen Betroffene signifikant niedrigere Vitamin-D-Werte im Blut auf als kariesfreie Kinder“, betont Čepić. Eine Supplementierung sollte bei Kindern als auch bei Erwachsenen immer medizinisch begleitet erfolgen.

Lebenswandel fördert Karies 

Das vermehrte Aufkommen von Karies im Gegensatz zu früheren Generationen liege auch an veränderten Ess- und Trinkgewohnheiten: „Kinder essen heute häufiger zwischendurch, oft süße Snacks oder Fruchtsäfte. Die Zähne bekommen dadurch kaum Erholungspausen. Kariesbakterien wie Streptococcus mutans gedeihen in solchen Umgebungen besonders gut.“ Wenig Aufenthalt und Bewegung im Freien sowie eine einseitige Ernährung wirken sich zudem negativ auf die Zahngesundheit unserer Kleinsten aus. „Zudem beobachten wir eine Zunahme sogenannter Schmelzbildungsstörungen – also struktureller Defekte am Zahnschmelz“, erklärt Čepić. Diese Veränderungen sind nicht nur ein kosmetisches Problem, sondern können die Zähne auch anfälliger für Karies machen. Oft liegt eine nährstoffbedingte Ursache zugrunde, etwa Versorgungsmängel während der Zahnentwicklung in der Schwangerschaft oder der frühen Kindheit.

Viel hilft viel?

Bei der täglichen Mundhygiene sind sich Zahnmedizinerinnen und -mediziner seit vielen Jahren einig: Zweimal täglich Zähneputzen, Zahnseide verwenden und Mundspülungen mit Vorsicht genießen. „Der regelmäßige, unkritische Einsatz antibakterieller Mundspüllösungen kann das natürliche orale Mikrobiom aus dem Gleichgewicht bringen. Deshalb sollte der Einsatz von Mundspülungen stets gezielt und nur zeitlich begrenzt erfolgen“, rät Čepić. Ihr Fazit: „Mit einem ganzheitlichen Blick auf Ernährung, Nährstoffversorgung und Zahnpflege kann man heute sehr viel vorbeugend tun. Am besten gemeinsam mit Zahnärztinnen und -ärzten, die nicht nur bohren und füllen, sondern auch beraten, messen und begleiten.“

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