Zeitenwende: Was wirklich in den Wechseljahren passiert

Zeitenwende: Was wirklich in den Wechseljahren passiert
Ich dachte, ich werde verrückt.“ So beschreiben viele Frauen ihre ersten Erfahrungen mit den Wechseljahren. Nächtliches Schwitzen, Herzklopfen ohne Grund und emotionale Achterbahnfahrten gehören plötzlich zum Alltag wie der morgendliche Kaffee. Laut Studien leiden über 80 Prozent der Frauen an Hitzewallungen und nächtlichen Schweißausbrüchen. Bei 70 Prozent gesellen sich Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, Angstzustände oder Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme dazu. Viele Symptome kommen, um zu bleiben: Klassische Schätzungen gingen früher oft von rund vier Jahren aus – vor allem, weil man sich auf Hitzewallungen fokussierte. Neuere Studien zeigen jedoch: Im Durchschnitt dauern alle Symptome zusammengenommen etwa sieben bis zehn Jahre, bei manchen Frauen noch länger.
Die Ausprägung ist individuell: Manche surfen relativ entspannt bis moderat durch diese Zeit, andere nicht. „Es gibt aber auch Frauen, die sagen: Ich kann meinen Alltag nicht mehr bewältigen“, sagt die Gynäkologin Univ.-Prof. Doris Gruber. Lange galt die Drittel-Regel: Ein Drittel der Frauen hat kaum Beschwerden, ein Drittel mittlere, ein Drittel starke Symptome. Das ist überholt. „Diese Zahlen stammen aus Zeiten, als man nur Hitzewallungen, Schweißausbrüche und Schlafstörungen gezählt hat. Heute wissen wir, dass deutlich mehr Frauen betroffen sind, wenn man auch psychische und kognitive Aspekte einbezieht“, sagt Assoc.-Prof. Johannes Ott, Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, MedUni Wien. Die Intensität hängt von Genetik, psychosozialer Belastung, Hormonverlauf und Coping-Stil ab.
Die Wechseljahre beginnen im Gehirn
„Das Klimakterium ist keine Modeerscheinung. Es ist ein biologischer Vorgang, der Frauen seit jeher durch das Leben begleitet.“ Nur: Früher sind viele gar nicht so alt geworden, um ihn zu erleben“, sagt Gruber. „Heute werden Frauen im Schnitt über 80 – und damit rückt die Zeit nach der Fruchtbarkeit stärker in den Fokus.“ Abrupte Zäsur sind die Wechseljahre keine, sondern ein mehrjähriger Prozess, der enorme Veränderungen im Körper bedeutet. Gruber: „So wie in der Pubertät das Hormonorchester langsam in Stimmung kommt, verlässt es nun Schritt für Schritt die Bühne – bis hin zum Dirigenten.“ Was viele nicht wissen: Die Wechseljahre beginnen, vereinfacht gesagt, im Kopf. „Viele Symptome – von Hitzewallungen bis Brain Fog – haben ihren Ursprung im Gehirn“, erklärt Ott. Mit dem Eintritt der Menopause sinkt nicht nur der Östrogenspiegel, sondern auch andere Signalstoffe nehmen ab. Das führt dazu, dass das Gehirn, genauer gesagt der Hypothalamus, Alarm schlägt: Es wird nun vermehrt GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon) ausgeschüttet, was wiederum die Hirnanhangsdrüse dazu bringt, verstärkt FSH (Follikelstimulierendes Hormon) und LH (Luteinisierendes Hormon) zu senden. Beides Botenstoffe, die die Eierstöcke zur Hormonproduktion anregen.
Alter: etwa 40 bis 51 Jahre.
Die Perimenopause umfasst die Übergangszeit vor der letzten Menstruation – also von den ersten hormonellen Veränderungen bis ein Jahr danach. Oft kommt es schon Mitte/Ende 30, Anfang 40 zu ersten Veränderungen, was oft als „Prämenopause“ bezeichnet wird, mit ersten hormonellen Umstellungen. In der Perimenopause ist der Zyklus dann unregelmäßig, Eisprünge werden seltener. Starke Schwankungen der Östrogenspiegel. Symptome: Hitzewallungen, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Brustspannen, Zykluschaos.
Aus der Balance
Ott: „Wenn diese jedoch langsam ihre Arbeit einstellen, versucht das Gehirn verzweifelt weiterzusenden – mit übersteigerten Signalen. Doch es kommt nichts mehr zurück.“ Das gestörte Rückkopplungssystem erklärt viele Symptome. Dabei entstehen Botenstoffe, die direkt auf das Schlaf- und Temperaturzentrum wirken. Mit belastenden Folgen: Hitzewallungen, Einschlafprobleme, nächtliches Aufwachen. „Hinzu kommt der direkte Mangel an Sexualhormonen wie Östrogen, Progesteron und wahrscheinlich auch Testosteron. Sie beeinflussen wichtige Rezeptoren im Gehirn, etwa im Emotionszentrum, im Hippocampus oder am GABA-System, das für Ruhe und Ausgeglichenheit sorgt. Fehlen diese Reize, gerät das gesamte neurohormonelle Gleichgewicht aus der Balance“, sagt Ott.
„Hormone wirken nicht nur auf Gebärmutter und Eierstöcke, sie beeinflussen alle Organe. Wenn sie zurückgehen, leidet jedes System anders, sagt Gruber. Typische Symptome, die hier noch dazukommen: Gelenkschmerzen, Frozen Shoulder, Augentrockenheit, Zyklusunregelmäßigkeiten, Myome, Gewichtszunahme. Selbst die Mitochondrien sind betroffen, als Kraftwerke der Zellen: Sie liefern Energie für alle körperlichen Prozesse, auch im Gehirn, in Muskeln und im Hormonhaushalt. Östrogen wirkt regulierend auf sie, indem sie deren Funktion, Energieproduktion und Schutz vor oxidativem Stress unterstützen. Wenn der Östrogenspiegel sinkt, kann das die Mitochondrien schwächen. Die Folge: weniger Energie, höhere Anfälligkeit für Zellstress, erhöhtes Risiko für degenerative Prozesse. Deshalb ist ihre Rolle im Klimakterium ein aktuell sehr spannender Forschungsbereich. „Die Menopause ist kein isoliertes Eierstock-Problem. Das Gehirn, das Immunsystem, der Stoffwechsel, alles ist betroffen. Hier müssen wir ganzheitlicher denken“, sagt Ott.
Vage Diskussion
„Die Veränderungen beginnen schleichend, teils schon Ende 30, Anfang 40“, erklärt Gruber. „PMS-Phasen werden stärker, die Zyklen kürzer oder unregelmäßiger.“ Viele Frauen denken: „Was ist nur los mit mir? Ich funktioniere nicht mehr wie früher.“ Beim Arzt werden diese Symptome oft als „psychisch“ abgetan. Aber: „Nicht jede Verstimmung ist gleich psychisch. Erst einmal Menopause als Ursache prüfen: Hormonstatus und Alter genügen oft“, rät Gruber. Ott ergänzt: „Nebel im Kopf, Reizbarkeit, Grübelgedanken sind oft frühe Reaktionen des Gehirns auf die Hormonveränderung. Leider wird das immer noch häufig als Burnout oder Depression fehlgedeutet.“
Deshalb bleibt die Diskussion über geeignete Therapien oft vage.
Kaum ein medizinisches Thema wurde so kontrovers erörtert wie die Hormonersatztherapie (HRT). Die große Verunsicherung begann 2002 mit der US-amerikanischen WHI-Studie, die damals mit Warnungen vor erhöhtem Brustkrebs- und Schlaganfallrisiko weltweit Zweifel auslöste. „Das künstliche Gelbkörperhormon (Gestagen) war einer der Hauptgründe für die damalige Risiko-Bewertung“, erklärt Ott. Weil es – anders als körperidentisches Progesteron – an mehrere Rezeptoren bindet. Seitdem haben wir viele Sicherheitsdaten gesammelt, zumindest zur klassischen Östrogen-Gestagen-Kombination.“
ie tritt im Durchschnitt um das 51. Lebensjahr ein, kann aber individuell stark variieren. Biologisch ist sie der Übergang von der reproduktiven in die postreproduktive Lebensphase. Sie ist also der Zeitpunkt der letzten natürlichen Regelblutung und tritt ein, wenn die Eierstöcke dauerhaft keine Eizellen mehr freigeben. Weil dadurch auch kaum noch Östrogen produziert wird, kommt es zum Ausbleiben der Menstruation. Dieser Moment wird rückblickend festgestellt – nämlich dann, wenn eine Frau zwölf Monate lang keine Blutung mehr hatte. Ein Ende der typischen Symptome markiert dieser Zeitpunkt nicht, sie können noch Jahre dauern.
Nicht jede Frau braucht Hormone
„Hormonersatz ist keine Standardlösung für alle, aber eine sinnvolle Option für viele“, sagt Gruber. Dennoch: Nicht jede Frau braucht alles – und schon gar nicht das Gleiche. Was wissenschaftlich gut belegt ist: Die Wechseljahre sind hormonell bedingt – ein klarer Östrogen- und Progesteronmangel. Weniger gut beforscht ist jedoch, wie individuell dieser Mangel erlebt wird – und wie unterschiedlich die Therapie aussehen müsste. „Man kann nicht einfach mit der Gießkanne kommen und allen Frauen dasselbe geben“, sagt Gruber. „Jede Frau erlebt diese Zeit anders. Die eine hat keine Hitzewallungen, leidet aber massiv unter Schlafstörungen, Gelenkschmerzen oder Ängsten – da hilft es nicht, pauschal Hormone zu verschreiben.“ Gefragt sei ein organspezifisches, zyklusgerechtes Vorgehen, angepasst an Lebensstil, Alter, Vorerkrankungen und Beschwerdebild. „Doch genau das wird bisher zu wenig umgesetzt – und leider auch zu wenig erforscht.“
Ebenfalls wichtig für eine Hormongabe sei der richtige Zeitpunkt, so Gruber: „Nicht zehn Jahre nach der letzten Regelblutung, sondern im sogenannten ,Window of Opportunity’.“ „Sonst kommt das Hormon, aber es hat keinen Auftrag mehr.“ Gemeint ist damit die sogenannte Rezeptorverarmung: Wenn über viele Jahre kein Östrogen im Körper vorhanden war, bilden sich die Hormon-Andockstellen in Gewebe und Gehirn zurück – das Hormon kann dann schlicht nichts mehr bewirken.
„Bei Karzinomrisiko, thromboembolischen Ereignissen oder massiven Ängsten vor Hormonen rate ich allerdings ab“, so Gruber. „Denn wenn die Angst überwiegt, verschärfen wir das Problem nur.“ Ähnlich Ott: „Viele Frauen lehnen Hormone ab, aus Sorge vor Krebs oder Schlaganfällen. Diese Vorsicht ist nicht unberechtigt – aber sie sollte differenziert sein.“ Denn der Vergleich in vielen Studien ist verzerrt: „Man vergleicht eine behandelte Frau mit einer unbehandelten, die keine Hormone nimmt – oft, weil sie weniger Symptome hat. Dass das Ergebnis dann schlechter ausfällt, ist nachvollziehbar“, so Ott.
Beginnt meist um 52. Sie umfasst die gesamte Zeit nach der Menopause, ab dem Moment, wo die Frau 12 Monate keine Periode mehr hatte. Die Östrogen- und Progesteronspiegel sind auf einem dauerhaft niedrigen Niveau angekommen. Neben klassischen Beschwerden sind auch urogenitale Symptome wie vaginale Trockenheit, häufiger Harndrang etc. bemerkbar. Sie markiert aber auch den Beginn einer Phase, in der viele Frauen neue Energie, innere Klarheit und ein gestärktes Körperbewusstsein erleben.
Abwägen, aufklären, begleiten
„In der Forschung wissen wir: Hormone wirken. Im Positiven – aber eben auch im Negativen.“ Die Verantwortung liegt bei den Ärzten – sie müssen individuell abwägen, aufklären und begleiten. „Die Hormonersatztherapie ist kein Allheilmittel. Aber sie ist auch kein Teufelszeug“, sagt er. „Es gibt mittlerweile pflanzliche Alternativen, neue Medikamente gegen Hitzewallungen ohne Hormone – und auch bioidentische Varianten, die sinnvoll sein können. Entscheidend ist: keine Schablonen, sondern maßgeschneiderte Beratung.“
„Sexualität verändert sich im Laufe des Lebens – hormonell, körperlich, emotional. „Der größte Irrtum ist zu glauben, es muss immer so bleiben wie mit 30. Das erzeugt Druck – und verhindert Entwicklung.“ Nicole Siller, klinische Sexologin, arbeitet mit Frauen und Männern, die ihre Sexualität neu verstehen wollen. Die Wechseljahre sind dabei oft ein Wendepunkt: „Viele Frauen spüren weniger spontanen Trieb. Da ist Bewusstsein gefragt: Was brauche ich, um Lust zu empfinden?“ Körperlich verändern sich Schleimhäute und Erregbarkeit – das ist medizinisch erklärbar. Doch Sexualität ist weit mehr als Penetration.
„Wichtig ist, nicht das alte Bild zu reparieren, sondern ein neues zu entwickeln – stimmig für das Jetzt.“ Entscheidend sei, ob eine Frau gelernt hat, ihre Bedürfnisse zu kennen und auszudrücken. „Hat sie immer nur die Wünsche anderer erfüllt, tut sie sich schwer, herauszufinden, was sie selbst will. Aber mit Neugier und Offenheit ist es möglich.“ Der Verlust des erotischen Selbstbilds trifft viele. „Uns wird vermittelt: Attraktiv ist, wer jung ist. Das sitzt tief.“ Gleichzeitig erlebt Siller, dass viele Frauen sich mit 50 plus erstmals als sexuell souverän empfinden – wenn sie loslassen, was „normal“ sein soll.
Und in der Partnerschaft? „Da braucht es zwei, die sich entwickeln wollen. Es ist nicht die Aufgabe der Frau, die Lust zu reparieren.“ Auch Humor und Spiel seien wichtig – und der Mut, offen über Veränderung zu sprechen. Ihr Fazit: „Sexualität in den Wechseljahren ist kein Ende – sondern ein Übergang. „Und eine Veränderung, die Freiheit und Tiefe bringen kann.“
Hype um bioidentische Hormone
„Bioidentische Hormone“ gelten als Hoffnungsträger. Sie besitzen exakt die gleiche Molekülstruktur wie das entsprechende Hormon, das der menschliche Körper selbst produziert. Man spricht auch von „körperidentisch“. Allerdings ist der Begriff ungeschützt und wird marketingwirksam instrumentalisiert. „Es bedeutet nicht automatisch risikoarm“, betont Ott. „Problematisch wird es, wenn apothekengefertigte Kapseln als ,bioidentisch’ verkauft werden, obwohl sie mit der menschlichen Hormonstruktur wenig gemein haben.“ Entscheidend ist auch die Darreichungsform: „Orale Präparate passieren die Leber und werden dort größtenteils abgebaut – dabei entstehen Stoffwechselprodukte die ebenfalls wirken. Das beeinflusst Wirkung und Nebenwirkungen.“
Was beide Experten betonen: Trotz Millionen betroffener Frauen findet das Thema in der Politik kaum Raum. Gruber: „Der Frauengesundheitsbericht 2022 widmet der Menopause ganze drei Seiten – bei fast 200 Seiten Gesamtumfang. Die Empfehlung? Frauen mit Beschwerden mögen sich in Menopausen-Cafés austauschen.“ Das sei „fast schon zynisch“. Das Thema komme außerdem in der ärztlichen Ausbildung kaum vor: „Das darf nicht sein.“ Auch die Forschung hinkt nach: „Vor allem Schlafstörung, Gewichtszunahme und Gehirnumbau verdienen mehr Aufmerksamkeit“, sagt Ott. „Tabus helfen nicht, gefragt sind Aufklärung und Mut.“ Weil diese Phase des Lebens keine Nebensache ist, sondern ein neurologischer, immunologischer und psychosozialer Umbruch, der gesehen, verstanden und begleitet werden sollte. „Frauen haben heute noch sehr viele Lebensjahre vor sich, wenn die Menopause beginnt“, sagt Gruber. „Und das sollen sie gut, gesund und selbstbestimmt gestalten können.“
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