Studie: Corona schafft große Kluft zwischen Generationen und Ländern

Studie: Corona schafft große Kluft zwischen Generationen und Ländern
Menschen in Ost- und Südeuropa fühlen sich stärker betroffen als in Nord- und Westeuropa - "Beunruhigende Kluft" zwischen Generationen

Achtzehn Monate nach Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa zeichnen sich in vielen EU-Ländern, auch in Österreich, tiefe gesellschaftliche Gräben ab. Deutliche Bruchlinien verlaufen laut einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) zwischen Generationen, aber auch zwischen Süd- und Ost- bzw. West- und Nordeuropa. In Österreich und Deutschland ist das Gefühl des Verlusts von Freiheit am stärksten ausgeprägt.

Südländer nehmen anders wahr als Norden

Laut den Studienautoren Ivan Krastev und Mark Leonard gibt es gewissermaßen zwei Pandemien innerhalb der EU, denn während in Süd- und Osteuropa von den Befragten mehrheitlich angegeben wird, dass das Virus hier schwere Erkrankungen, Todesfälle oder wirtschaftliche Notlagen verursacht hat, ist in West- und Nordeuropa das Gegenteil der Fall: Für die meisten dortigen Befragten sei Corona "eher eine Art grausamer Zuschauersport". So erklärten etwa 72 Prozent in Dänemark, von der Pandemie "überhaupt nicht" betroffen zu sein, über 60 Prozent waren es immerhin in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.

In Ungarn hingegen lag dieser Wert bei nur 35 Prozent, in Spanien bei 36, in Portugal und Polen bei 39 Prozent - die Mehrheit gab hier an, wirtschaftlich oder gesundheitlich von Covid betroffen zu sein. Österreich befindet sich mit 51 Prozent ("überhaupt nicht betroffen") etwas unter dem Durchschnitt, der bei 54 Prozent liegt.

Wie frei fühlst du dich?

Eine wachsende Kluft orten die Außenpolitikexperten Krastev und Leonard bei der Auffassung von individueller Freiheit. Nur elf Prozent in Deutschland und 15 Prozent in Österreich gaben an, sich völlig frei zu fühlen. Am höchsten lag der Wert interessanterweise mit 41 Prozent in Ungarn bzw. mit 38 Prozent in Spanien, der Durchschnitt bei 22 Prozent. Noch vor zwei Jahren gaben durchschnittlich 64 Prozent der Befragten an, sich frei zu fühlen.

In Deutschland fühlt sich fast die Hälfte (49 Prozent) der Befragten im Alltag "nicht frei" bzw. nicht in der Lage, das tägliche Leben so zu gestalten, wie es für richtig gehalten wird. Österreich verzeichnete mit 42 Prozent den zweithöchsten Wert der insgesamt zwölf teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten.

Junge fühlen sich stärker betroffen

Die Umfrage bringt aber auch eine "beunruhigende Kluft" zwischen den Generationen ans Licht, so das ECFR. Denn sie macht deutlich, dass sich fast zwei Drittel (64 Prozent) der über 60-Jährigen nicht persönlich von der Krise betroffen fühlen, während die Mehrheit der unter 30-Jährigen (57 Prozent) angibt, in den letzten eineinhalb Jahren mit Krankheitsfällen und wirtschaftlichen Belastungen konfrontiert gewesen zu sein.

Trennlinie bei Vertrauen in Politik

Auch zeige sich eine klare Trennlinie zwischen denjenigen, die den Motiven ihrer Regierung für die Einführung landesweiter Corona-Schutzmaßnahmen vertrauen, und denjenigen, die der Meinung sind, die staatlich verordneten Einschränkungen seien "ein Vorwand, um Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben" oder seitens der Regierungen eine Möglichkeit, den Anschein der Krisenbewältigung zu erwecken. Besonders ausgeprägt sind diese Zweifel in Polen. In Österreich vertrauen 65 Prozent der Befragten den Begründungen der Bundesregierung für die Beschränkungen.

Gräben in Europa aufgetan

"Während es in der Anfangsphase der Corona-Pandemie so aussah, als würden die Europäer*innen zusammenrücken und sich auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen, haben sich seither tiefe Gräben aufgetan, die sich ähnlich gravierend darstellen könnten wie jene während der Euro- und der Flüchtlingskrise", kommentierte ECFR-Gründungsdirektor Leonard die Umfrageergebnisse.

Die Spaltungen könnten ein neues politisches Zeitalter einleiten, wenn sie offen zutage treten, meinte Co-Autor Krastev, der auch Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien ist.

"Eine der bisher offensichtlichsten Folgen - und möglicherweise die dramatischste - ist die Kluft zwischen den Generationen." Nach einer Phase der Konzentration auf den Schutz von Älteren sei es nun an der Zeit sich auf die Probleme der Jungen zu konzentrieren, forderte er.

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