Seltene Erkrankungen: In Österreich wartet man 2,5 Jahre länger auf die Diagnose

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Im Schnitt dauert es 7,3 Jahre bis Patienten mit einer seltenen Erkrankung ihre Diagnose erhalten – deutlich länger als im europäischen Durchschnitt.

Zusammenfassung

  • Patienten in Österreich warten im Durchschnitt 7,3 Jahre auf eine Diagnose seltener Erkrankungen, 2,5 Jahre länger als der europäische Durchschnitt.
  • Drei Viertel der Betroffenen erhalten zunächst eine Fehldiagnose, und 60 % werden nicht an spezialisierte Zentren überwiesen.
  • Pro Rare Austria fordert eine Gesamtstrategie mit schnelleren Diagnosen, verbesserten Versorgungen und einem gesamtösterreichischen Register.

Rund 450.000 Menschen in Österreich leben mit einer seltenen Erkrankung – europaweit sind es etwa 30 Millionen. Darauf macht der "Tag der Seltenen Erkrankungen" am 28. Februar aufmerksam. 

Der Weg zu einer gesicherten Diagnose ist oft lang und beschwerlich. Eine aktuelle Studie zeigt, dass österreichische Patientinnen und Patienten im Durchschnitt 7,3 Jahre auf eine Diagnose warten müssen – 2,5 Jahre länger als der europäische Durchschnitt.

Diagnose-Odyssee und Fehleinschätzungen

Die europaweite Rare Barometer-Umfrage von EURORDIS unterstreicht die Schwierigkeiten, mit denen Betroffene konfrontiert sind: Drei Viertel erhalten zunächst eine Fehldiagnose, oft wird ihnen sogar eine psychische Erkrankung attestiert. 60 Prozent der Betroffenen werden nicht an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen, obwohl dies entscheidend für eine korrekte Diagnose wäre. Die Folge: Lange Behandlungswege, Unsicherheit und eine unnötige Verzögerung dringend benötigter Therapien.

Ein besonders drastisches Beispiel ist der Fall des Deutschen Bernward Wittschier. Vor über zehn Jahren begannen seine Beschwerden mit Taubheitsgefühlen in Fingern, Zehen und Gesicht. Heute sind diese Symptome bis in den Schulterbereich fortgeschritten und beeinträchtigen sogar sein Sprechen und Schlucken. Trotz unzähliger Untersuchungen bei unterschiedlichsten Fachärzten konnte keine Diagnose gestellt werden. "Es ist, als hätte ich zehn Betäubungsspritzen beim Zahnarzt bekommen, nur dass die Wirkung nie nachlässt", beschreibt Wittschier seine Situation. 

Seine Angst: Die Krankheit könnte weiter fortschreiten – doch bislang gibt es keine Erklärung, keine Diagnose, keine Therapie.

Forderung nach einer neuen Strategie für seltene Erkrankungen

Um die Situation zu verbessern, fordert die Organisation Pro Rare Austria eine österreichweite Gesamtstrategie, die unter anderem folgende Maßnahmen vorsieht:

  • gesicherte Diagnosen innerhalb eines Jahres
  • verbesserte medizinische, psychosoziale und soziale Versorgung
  • Ausbau und Finanzierung spezialisierter Zentren
  • Einführung eines gesamtösterreichischen Registers für seltene Erkrankungen
  • gesetzliche Verankerung der Patientenbeteiligung

"Es ist untragbar, dass Betroffene in Österreich deutlich länger auf eine Diagnose warten müssen als im restlichen Europa", kritisiert Dominique Sturz von Pro Rare Austria. "Die bestehenden Defizite führen zu unnötiger Verunsicherung und verzögern essenzielle Behandlungen."

Im aktuell veröffentlichten Regierungsprogramm kündigte die neue Österreichische Bundesregierung einen weiteren Ausbau von Expertisezentren für seltene Erkrankungen (z.B.: Ausbau von Versorgungsstrukturen für ME/CFS) und enge Zusammenarbeit mit europäischen Referenzzentren sowie Beschleunigung der Designationsprozesse der ERNS.

Kaum Therapien für seltene Krankheiten

Die lange Suche nach einer Diagnose ist nur ein Teil des Problems. Selbst wenn eine seltene Erkrankung erkannt wird, gibt es oft keine spezifischen Therapien oder Medikamente. Von den rund 8.000 bekannten seltenen Krankheiten sind nur für drei Prozent zugelassene Medikamente verfügbar. Das liegt unter anderem an den geringen Fallzahlen, die es für Pharmaunternehmen wirtschaftlich unattraktiv machen, gezielt Therapien zu entwickeln.

Für Betroffene wie Bernward Wittschier bleibt die Unsicherheit. "Ich hoffe, dass eines Tages jemand erkennt, was ich habe", sagt er. "Oder wenigstens eine Idee hat, was es sein könnte." Sein größter Wunsch ist es, "einen einzigen Tag mal wieder ganz normal zu erleben – so wie vor 20 Jahren".

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