Die Ärztin berät Urlauber und hat selbst ein Faible für abenteuerliche Destinationen.
KURIER:Sie impfen reiselustige Menschen in Ihrem Institut. Welche Reisen liegen gerade im Trend?
Ursula Hollenstein: Japan ist extrem in Mode gekommen – vor allem bei Jungen. Auch Sri Lanka ist beliebt – und Costa Rica: Manchmal frage ich mich, ob man dort nur noch Österreicher trifft (lacht).
Die Flugscham ist „verfolgen“?
Ja, vielleicht mit Ausnahme von Kurzstrecken. Das Reisen ist so stark zurückgekommen, dass es sogar die Vor-Covid-Zeit übertrifft.
Flugangst wegen der vielen Kriege gibt es nicht?
Das schieben die Leute weg, weil sie zu Recht davon ausgehen, dass das die Airlines schon machen werden und neue Flugrouten finden.
Ist es ein Mythos, dass der tägliche Schluck Whisky vor Durchfall in exotischen Regionen schützt?
Das ist mein Lieblingsgerücht, das es in allen Varianten gibt: als Schluck vor dem Frühstück oder danach, zum Abendessen, oder am besten bei jeder Mahlzeit. Es gibt aber keinerlei Studien, die in irgendeiner Form belegen, dass das etwas bringt. Ich sage immer: „Wenn Sie das gerne tun, dann tun Sie es – aber nicht, um etwas zu vermeiden.“
Ist ein Whiskey vor dem Frühstück nicht gesundheitsschädlich?
Ein Schluck kann nichts anstellen. Dem Darm ist das ganz egal – aber leider auch den Bakterien. Die Theorie des Desinfizierens stimmt nicht. Um wirklich desinfizierend zu wirken, könnten Sie den Alkohol nicht mehr trinken, weil er so hochprozentig wäre. Alkohol in größeren Mengen senkt außerdem die Magensäureproduktion deutlich. Das aber ist unsere erste Verteidigungsbarriere gegen eindringende Bakterien. Ich würde stattdessen eine vernünftigere Vorsorge treffen.
Es gibt Logisches: „cook it, boil it, peel it, or forget it“ – also nur Gekochtes/Gebratenes oder Geschältes essen, keinen Salat. Allerdings zeigen Studien, dass Menschen, die das alles beherzigen, genauso oft Durchfall bekommen, wie die, die sich nicht darum kümmern. Weil viele dieser Krankheitserreger nicht nur über verunreinigte Lebensmittel in uns hineingeraten, sondern auch über ungewaschene Hände und Oberflächen, die man berührt. Durchfall ist lästig, aber keine dramatische Erkrankung und geht meist von selbst wieder vorbei. In der Reiseapotheke sollte etwas sein, das dagegen hilft.
Impfen hatte in den letzten Jahrzehnten einen makellosen Ruf, weil es schwere Krankheiten wie Pocken nahezu ausgelöscht hat. Durch Corona ist die Impfskepsis gestiegen.
Impfgegner gibt es seit Erfindung der ersten Impfung. Durch Covid sind sie sehr viel mehr und lauter geworden. Ich glaube nicht, dass man die wieder zurückgewinnen kann. Da ist wohl zu viel an Vertrauensverlust passiert – was schade ist, weil Impfen eine wirklich geniale Vorbeugung gegen viele grausliche Erkrankungen ist, die wir gar nicht mehr sehen und daher vielleicht jeglichen Respekt davor verloren haben. Es gibt sie aber noch immer.
Hat man bei der Corona-Impfung zu viel versprochen?
Natürlich war das auch ein Lernprozess. In den ersten Wochen und Monaten hat man tatsächlich geglaubt, eine sehr gute Immunität zusammenzubringen – und auch die Weitergabe zu verhindern. Das hat sich leider danach nicht bestätigt. Auch, weil das Virus sehr stark mutierte. Fähigkeiten der Impfung sind damit verloren gegangen, die am Anfang schon gestimmt haben. Das hätte man deutlicher kommunizieren müssen.
Die Impfpflicht war ein Fehler?
Ganz sicher, aber auch das Versprechen eines 100-prozentigen Schutzes, was ganz wenige Impfungen können – etwa Tollwut. Gott sei Dank, weil die Krankheit tödlich ist. Und auch bei Gelbfieber haben wir eine sehr hohe Schutzquote. Das geht dann hinunter bis zu den eher schlechten Performancedaten einer Influenza-Impfung.
Empfehlen Sie die Grippe-Impfung trotzdem?
Ja – allen, auch Jungen, weil diese Impfung tatsächlich vor Weitergabe schützt. Und wenn möglichst viele immun sind, dann können wir uns diesen schlechteren Schutzgrad gerade leisten. Wir kommen derzeit ja kaum auf eine zweistellige Prozentzahl beim Durchimpfungsgrad.
Empfehlen Sie auch die Corona-Impfung noch?
Jein. Für alte Menschen ist es definitiv sinnvoll, sich einmal pro Jahr impfen zu lassen. Junge werden es kriegen, daran aber nicht mehr schwer erkranken.
Sie haben sich immer wieder öffentlich zur Corona-Impfung geäußert: Wie sehr sind Sie selbst Ziel von Aggressionen geworden?
Erstaunlich wenig. Natürlich gab es Drohungen, was mir passieren werde, wenn endlich ein Volkstribunal diese Verbrechen, die wir an der Menschheit begehen, aufarbeitet.
Zum ausführlichen Gespräch mit Reisemedizinerin Ursula Hollenstein
Wie sind die Nebenwirkungen der Corona-Impfung?
Bei jeder Impfung, bei jedem Medikament gibt es Nebenwirkungen. Aber in Relation zur Menge an verabreichten Impfungen muss man sie als wirklich sicher bezeichnen.
Wie steht es um die Gürtelrose-Impfung, die bei manchen zumindest einen Tag grippeähnliche Symptome erzeugt?
Wer einmal einen schweren Gürtelroseverlauf gesehen hat, weiß, warum wir diese Impfung empfehlen. Das Risiko, daran zu erkranken, steigt mit dem Alter. Kein Zweifel, dass sie Sinn macht.
Wieso muss man sie privat zahlen?
Dass ausgerechnet einer der teuersten Erwachsenenimpfstoffe ins kostenlose Impfprogramm aufgenommen wird, wäre zwar schön, ist angesichts der angespannten Budgetlage aber zu bezweifeln.
Wie halten Sie vom neuen Impfstoff gegen das Dengue-Fieber?
Er wird seit drei Jahren eingesetzt und macht keine Probleme. Das wird bald der Reiseimpfstoff schlechthin sein. Dengue ist mittlerweile die Tropenkrankheit Nummer eins und grassiert in allen beliebten Reisedestinationen.
Sie waren Oberärztin am Wiener AKH. Warum sind Sie gegangen?
Das AKH als Ausbildungsstätte ist gerade für mein Fach super: Das können Sie nur an einer hoch spezialisierten Abteilung lernen. Es waren tolle 20 Jahre. Aber das Hickhack, die Karriere-Rangeleien: Das macht es irgendwann einmal wahnsinnig mühsam. Es setzen sich ja nicht immer nur die Nettesten durch.
Wohin reisen Sie selbst gerne?
Überall hin. Ich bin ein Fan der Sahelstaaten mit ihrer lebendigen Stammeskultur. Leider machen Unruhen und marodierende islamistische Banden das Reisen dorthin derzeit unmöglich. In Südamerika gibt es noch einiges, was wir nicht kennen. Ich mag gerne Länder, die noch relativ ursprünglich sind. Nur Strand und Party interessieren mich nicht.
Sie arbeiten und reisen mit Ihrem Mann gemeinsam. Stresst man einander da nicht manchmal?
Wir reisen ausschließlich individuell, und natürlich geht da auch viel schief: Da kommt der Bus nicht, und Sie sitzen irgendwo fest. Das muss man aushalten. Aber wir sind eigentlich sehr gut aufeinander eingespielt, haben unterschiedliche Toleranzgrenzen. Und beim Arbeiten haben wir getrennte Räume, weil wir unterschiedliche Arbeitsstile haben, die sich aber gut ergänzen.
Wohin würden Sie niemals reisen?
Mich würden Sie nur mit körperlicher Gewalt auf ein Kreuzfahrtschiff bringen.
Die Universitätsdozentin Ursula Hollenstein betreibt gemeinsam mit ihrem Mann ein Zentrum für Reisemedizin in Wien. Sie ist Fachärztin für Innere Medizin und Spezialistin für Infektiologie und Tropenmedizin. 20 Jahre lang war sie Oberärztin an der Universitätsklinik und ist Impfexpertin.
Selbstbeschreibung auf ihrer Homepage: „Mangels österreichischer Tropen wird ihre Arbeit häufig von unstillbaren Reisefieberattacken unterbrochen.“
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