Michael Musalek: Wann Psychotherapie sinnvoll ist
Immer mehr Menschen suchen therapeutische Unterstützung – manche, weil sie krank sind, andere, weil sie sich selbst besser verstehen möchten. Das zeigt, dass wir offener geworden sind im Umgang mit seelischer Gesundheit. Doch dabei geht oft verloren, was Psychotherapie ist – und was nicht. Sie ist Arbeit am Leben und beginnt dort, wo seelisches Leiden so groß geworden ist, dass man es allein nicht mehr tragen kann. Sie braucht also immer einen Grund, die „Indikation“ als Teil einer medizinischen Behandlung, wenn eine psychische Erkrankung vorliegt. Das ist keine Frage des Wunsches oder der Mode, sondern eine medizinisch-fachliche Entscheidung. Wer nur Orientierung sucht oder sich persönlich weiterentwickeln möchte, ist bei Coaching, Lebensberatung oder Selbsterfahrung besser aufgehoben.
Der Kern jeder Psychotherapie ist die Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Diese Beziehung ist das eigentliche Heilmittel – nicht so sehr die jeweilige Methode oder Technik. In Beratungen oder Coachings gibt es meist Ratschläge und Handlungsanweisungen, in der Therapie geht es um das Verstehen des psychischen Krankseins und um Lebensneugestaltung im Gesunden: Wie bin ich geworden, wie ich nun bin? Wie kann ich wieder gesund werden? Psychotherapie darf nur von Menschen durchgeführt werden, die dafür ausgebildet sind. Eine solche Ausbildung umfasst Theorie, Selbsterfahrung und Supervision und dauert mehrere Jahre. Lebensberaterinnen oder -berater dürfen beraten, aber nicht therapieren. In der Regel ist Psychotherapie Teil eines größeren medizinischen Behandlungsplans. Psychische Erkrankungen sind hochkomplexe Geschehen und verlangen oftmals beides: psychotherapeutische und psychopharmakologische Behandlung. Das Gegeneinander von Psyche und Körper gilt als längst überholt.
Weg zum Hausarzt
Viele wissen allerdings nicht, wohin sie sich wenden sollen: zum Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten oder Neurologen? Zur Orientierung: Psychiater und Neurologen sind Ärztinnen und Ärzte, die auch Medikamente verschreiben dürfen. Psychologinnen und Psychologen können und dürfen mit Zusatzqualifikation klinisch arbeiten. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verfügen über eine eigene Ausbildung, dürfen aber keine Medikamente verordnen. Im Idealfall beginnt der Weg bei seelischen Notsituationen beim Hausarzt. Er kann einschätzen, ob Psychotherapie sinnvoll ist. Leider fehlt bislang eine zentrale Stelle, die berät, welche Psychotherapierichtung am besten geeignet wäre, oft entscheidet der Zufall. Noch etwas: Viele, die eine Therapie dringend brauchen, bekommen keine, leider auch schwer erkrankte Menschen. Während jene, die stabil genug sind, sich selbst darum zu kümmern, leichter Zugang finden. Zuletzt: Man muss genau unterscheiden zwischen einer psychischen Erkrankung, einem psychischen Problem oder einer Krisensituation. Nicht jede persönliche Krise ist eine psychische Erkrankung, die einer Psychotherapie bedarf.
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