Die Niere: Unterschätzt, aber lebenswichtig

Menschen von oben in unterschiedlichen Gruppen
Zehn Prozent der Österreicher haben eine chronisch eingeschränkte Nierenfunktion – oft, ohne es zu wissen. Moderne Therapien und Früherkennung könnten das Fortschreiten verlangsamen und Dialysen hinauszögern.

Warum hat der Mensch eigentlich zwei Nieren? Man weiß es nicht genau, aber eines ist offensichtlich: „Sie sind so wichtig, dass die Natur gleich ein Doppelpack vorgesehen hat“, sagt Prof. Priv.-Doz. Dr. Kathrin Eller, stv. Abteilungsleiterin der klinischen Abteilung für Nephrologie an der Medizinischen Universität Graz und Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie. 

Schließlich übernehmen die Nieren zentrale Aufgaben im Körper, ohne die unser System ins Ungleichgewicht geraten würde. Zum einen regulieren sie den Wasserhaushalt und sorgen dafür, dass überschüssige Flüssigkeit aus dem Körper ausgeschieden wird. Gleichzeitig halten sie den Säure-Basen-Haushalt im Gleichgewicht, ein lebenswichtiger Mechanismus, damit unser Blut nicht zu sauer oder zu basisch wird. Auch die Regulierung der Salze im Körper – etwa von Natrium und Kalium – läuft über die Nieren. „Die Nieren reagieren dabei flexibel: Ist zu viel Natrium oder Kalium vorhanden, wird es ausgeschieden. Ist zu wenig da, wird es zurückgehalten“, erklärt Eller. Auf diese Weise stabilisieren die Nieren den Elektrolyt-Haushalt, eine Aufgabe, die kein anderes Organ im Körper übernimmt. Darüber hinaus scheiden die Nieren Abfallstoffe aus, darunter kleine Moleküle, die der Körper nicht mehr benötigt, und sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Harnsäure-Regulation. Auch die Blutdruckkontrolle wird maßgeblich von ihnen mitbestimmt.

Keine Einzelgänger 

Doch die Nieren arbeiten nicht allein. Sie stehen in enger Wechselwirkung mit anderen Organen. „Herz und Niere gehören ganz eng zusammen und wenn der eine oder der andere Partner da nicht so funktioniert, dann gibt es Schwierigkeiten“, sagt Eller. So könne eine Niereninsuffizienz eine Herzschwäche auslösen und umgekehrt. Auch die Leber beeinflusst die Nierenfunktion, und erste Erkenntnisse zeigen, dass das Darm-Mikrobiom ebenfalls eine Rolle bei Nierenerkrankungen spielen könnte. 

Wie jedoch genau alle Organe miteinander kommunizieren, ist noch nicht vollständig erforscht – sicher ist, dass ihre Zusammenarbeit entscheidend für unsere Gesundheit ist. Und der logische Schluss: Sind die Nieren krank, beeinflusst dies auch den gesamten Organismus. 

Früherkennung für Risikogruppen

Die Definition einer Nierenerkrankung ist klar, erklärt Eller: „Man spricht davon, wenn die Nierenfunktion eingeschränkt ist.“ Die häufigsten Auslöser dafür sind Bluthochdruck und Diabetes – gemeinsam verursachen sie rund die Hälfte aller Dialysefälle. Daneben spielen auch angeborene Nierenerkrankungen, Störungen des Harnabflusses, Nierensteine, Autoimmunerkrankungen wie Lupus, Übergewicht oder toxische Substanzen eine Rolle.

Weltweit leiden 850 Millionen Menschen an einer chronischen Nierenerkrankung. Österreich schließt sich nahtlos an. „Zehn Prozent der Bevölkerung haben eine chronisch eingeschränkte Nierenfunktion – das entspricht der gesamten Einwohnerschaft von Salzburg und Vorarlberg zusammen“, sagt Eller. Dazu kommt, dass sehr viele gar nicht wissen, dass ihre Nieren schon eingeschränkt funktionieren, und oft erhalten sie die Diagnose erst, wenn sich eine chronische Erkrankung bereits manifestiert hat.

Umso entscheidender sei daher die frühe Diagnose. Denn inzwischen stehen Medikamente zur Verfügung, die das Fortschreiten einer Niereninsuffizienz deutlich verlangsamen können. „Je früher wir eingreifen, desto besser können wir das Organ schützen“, betont die Expertin. Ob jedoch ein bevölkerungsweites Screening sinnvoll ist, wird derzeit noch diskutiert. Klar ist jedoch: Für bestimmte Risikogruppen ist Früherkennung unabdingbar. Dazu gehören Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, vorangegangenen akuten Nierenschäden, Übergewicht, familiärer Belastung oder die Einnahme nierenschädigender Medikamente. „Viele dieser Patientinnen und Patienten werden leider erst diagnostiziert, wenn die Funktion schon deutlich eingeschränkt ist“, warnt Eller.

Nicht rückgängig zu machen

Kommt es nach einem Screening zu auffälligen Laborwerten, folgt meist ein Ultraschall, um strukturelle Veränderungen zu erkennen. Bei speziellen Erkrankungen wie der so genannten Glomerulonephritis, eine Entzündung der kleinen Filtereinheiten der Niere, ist meist auch eine Nierenbiopsie notwendig. Chronische Niereninsuffizienz ist nicht reversibel, also rückgängig zu machen, da Narbengewebe die Funktion dauerhaft einschränkt. „Ziel der Therapie ist daher, das Fortschreiten zu verlangsamen und so lange wie möglich eine Dialyse hinauszuzögern“, so die Expertin. 

Neben Lebensstilmaßnahmen kommen Medikamente wie ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptorblocker und moderne SGLT-2-Inhibitoren zum Einsatz, die sowohl Nieren als auch die Herzfunktion schützen. Bei Diabetikern wird inzwischen eine Vier-Säulen-Therapie genutzt, die das Risiko für Dialyse und kardiovaskuläre Ereignisse deutlich senkt. Die erste Säule stellt die Therapie mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern dar, die zweite Säule sind die SGLT-2 Inhibitoren, die dritte Finerenon (ein Blocker des Mineralokortikoidrezeptors) und die vierte Säule ist der Einsatz der GLP-1R Analoga wie Semaglutid auch bekannt unter dem Markennamen Ozempic. Alle 4 Therapiesäulen sollten bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und Diabetes mellitus Typ 2 zum Einsatz kommen.

Status quo bei Dialyse

Verändert hat sich die Dialyse in den letzten Jahren kaum. Sie erfolgt über Blutwäsche (Hämodialyse) oder die Bauchhöhle (Peritonealdialyse). Bei Transplantationen tut sich hingegen einiges: Forschende arbeiten an Xenotransplantationen, etwa Nieren von genetisch veränderten Schweinen. Erste Eingriffe in den USA zeigen vielversprechende Ergebnisse, die innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre auch für Europa relevant werden könnten. So eine vorsichtige Schätzung von Eller.

Ein weiteres, noch junges Forschungsfeld ist das Mikrobiom im Harn (Kasten). Erste Studien legen nahe, dass es bei der Entstehung von Nierensteinen eine Rolle spielen könnte. Ob und wie es direkt mit chronischen Nierenerkrankungen zusammenhängt, ist derzeit noch unklar.

Vorbeugung beginnt beim Lebensstil. 

„Eine gute Blutdruckkontrolle, ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, Rauchstopp und Gewichtskontrolle können das Nierenrisiko deutlich senken“, so die Expertin. Bei der Flüssigkeitszufuhr genügen in der Regel 1,5 Liter pro Tag, inklusive Kaffee oder Suppe – mehr trinken kann die Nieren sogar belasten. Eller: „Zu viel Flüssigkeit lässt die Niere unnötig arbeiten, ähnlich wie ein Auto, das dauerhaft mit Höchstgeschwindigkeit fährt, dann verschleißt es ebenso.“

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