Krankheit von Monica Seles: Wenn sogar die Kraft fürs Frisieren fehlt

Monica Seles 2019 bei den US Open: „Die Erkrankung hat große Auswirkungen auf mein tägliches Leben“.
Monica Seles war zwischen 1991 und 1993 die Nummer eins der Tenniswelt, gewann neun Grand-Slam-Turniere und war die größte sportliche Rivalin von Steffi Graf. 1993 wurde die damals 20-Jährige in Hamburg Opfer eines Messerattentäters: Ein geistig verwirrter Mann stach ihr mit einem Messer in den Rücken.
Jetzt hat die im ehemaligen Jugoslawien geborene US-Amerikanerin mit der Nachrichtenagentur AP über eine chronische Autoimmunerkrankung gesprochen, die sie seit drei Jahren stark beeinträchtigt: „Myasthenia gravis“ („schwere Muskelschwäche“). Sie habe beim Tennisspielen den Ball plötzlich doppelt gesehen und nicht mehr getroffen. Und sie habe Schwierigkeiten, wenn sie sich um ihre Frisur kümmere. „Die Erkrankung hat große Auswirkungen auf mein tägliches Leben“, sagte die heute 51-Jährige.

Mit nur 16 Jahren gewann Monica Seles 1990 erstmals die French Open.
Myasthenia gravis: Fehlsteuerung des Immunsystems
Ursache dieser neuromuskulären Erkrankung ist eine Fehlsteuerung des Immunsystems. Die Reizübertragung vom Nervenende zum Muskel wird gestört. Normalerweise reguliert sie der Botenstoff Acetylcholin, der über Rezeptoren in die Muskeln gelangt. Bei der Myasthenia gravis werden diese Rezeptoren durch Autoantikörper (Abwehrstoffe, die das Immunsystem gegen körpereigenes Gewebe bildet) blockiert – und langfristig ohne Behandlung auch zerstört. Der Muskel erhält weniger Reize, die Folge ist eine Muskelschwäche.
„Es handelt sich um eine belastungsabhängige, abnorme Ermüdbarkeit der Muskulatur“, sagt der Neurologe Wolfgang Löscher, Spezialist für neuromuskuläre Erkrankungen an der Uni-Klinik für Neurologie der Med Uni Innsbruck. „Im Laufe des Tages nimmt die Muskelschwäche durch die Belastungen zu.“ Es kommt aber zu keinem Muskelschwund.
Häufig betreffen die ersten Symptome – so wie auch bei Seles – die Augen: Längeres Lesen, Fernsehen, oder auch konzentriertes Sehen beim Sport ermüdet die Augenmuskulatur rasch. Löscher: „Da aber nicht alle Muskeln in gleichem Ausmaß erschlaffen, sind die Augen nicht mehr exakt parallel ausgerichtet – dadurch kommt es zu Doppelbildern.“
In der Folge sind oft auch Arme und Beine betroffen. Probleme beim Frisieren entstehen dadurch, dass es schwerfällt, die Arme zu heben und über den Kopf zu halten: „Auch beim Haarewaschen oder Zähneputzen müssen Betroffene viele Pausen einlegen, weil sie rasch ermüden“, erklärt Neurologe Löscher. Bei schweren Verläufen sind auch Atem-, Sprech- und Schluckmuskulatur beeinträchtigt.
Mehr Diagnosen in den vergangenen 40 Jahren
Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, es gibt aber zwei Häufigkeitsgipfel, zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr sowie ab dem 60. Lebensjahr. „Die Zahl der Betroffenen in Österreich liegt bei rund 2.000, etwas mehr Männer als Frauen.“ In den vergangenen 30 bis 40 Jahren ist die Zahl der Diagnosen gestiegen, das dürfte an der steigenden Zahl älterer Menschen und besserer Diagnostik liegen.
Zur Linderung der Symptome gibt es Medikamente, die den Abbau von Acetylcholin hemmen und die Nervenimpulse verstärken. Zur Dämpfung des Immunsystems wird seit langem Cortison eingesetzt. „In den vergangenen fünf Jahren hat sich aber in der Therapie der Myasthenia gravis sehr viel getan. Uns stehen heute drei Gruppen innovativer Medikamente zur Verfügung, die auf ganz unterschiedliche Weise die Produktion der Antikörper verhindern oder sie aus dem Blut eliminieren.“
Eine weitere Therapiemöglichkeit in der frühen Krankheitsphase ist die Entfernung der Thymusdrüse – sie spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung der fehlgesteuerten Antikörper.
„15 bis 20 Prozent der Patienten kommen irgendwann ohne Medikamente aus, die meisten brauchen aber eine Dauertherapie. 10 bis 20 Prozent waren bisher schwer zu behandeln, die neuen Medikamente könnten diesen Prozentsatz reduzieren“, ist Löscher zuversichtlich. „Ein großer Teil unserer Patienten kann ein weitgehend normales Leben führen – vielleicht nicht mehr ganz so belastbar, aber doch arbeitsfähig und mit guter Lebensqualität.“
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