Mikroplastik: Gar nicht so schädlich wie sein Ruf?
Über die Nahrung gelangt Mikroplastik in den Darm. Dort wird das meiste jedoch durch die Darmbarriere aufgehalten.
Spielzeug, Elektronik, Möbel, Verpackungen – Plastik ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und bei zahlreichen Produkten denkt man gar nicht daran, dass kleinste Plastikpartikel enthalten sind, etwa in Kosmetikartikeln, in Kaugummi und Teebeuteln, die Beschichtung von Pappbechern, der Glitzer von Bastelmaterial oder Kunststofffasern in Kleidung. Eine Studie in Boulderhallen hat sogar gezeigt, dass der Abrieb des Gummis von Kletterschuhen zu hohen Konzentrationen kleinster Plastikpartikel in der Luft führt.
In Form von Mikroplastik nehmen wir sie über Einatmen oder Verschlucken in den Körper auf. Mikroplastik konnte in Leber- und Gehirnproben, im Blut, in der Lunge und in den Fortpflanzungsorganen sowie in der Plazenta nachgewiesen werden. Zudem zeigen Studien, dass es im Boden, in der Luft und im Abwasser ebenso zu finden ist wie in Tieren, etwa in Fischen, die später auf dem Teller landen. In der Wahrnehmung der meisten Menschen ist das ein großes Problem. „Neun von zehn Personen kennen Mikroplastik, die meisten nehmen es als Risiko wahr und sind beunruhigt. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der dadurch beunruhigten Personen gestiegen“, sagte Robin Janzig, Leiter der Abteilung Risikokommunikation beim deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) anlässlich einer Tagung in Berlin.
Schädlich für den Körper?
95 Prozent der Befragten einer aktuellen deutschen Erhebung, die im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, schätzen die Aussage, dass sich Mikroplastik im Laufe der Zeit im menschlichen Körper ansammeln und ab einer bestimmten Konzentration Schäden verursachen kann, als wahr ein. 84 Prozent gehen davon aus, dass Mikroplastik im Körper bestehende Krankheiten verschlimmern kann. 81 Prozent wiederum stimmen der Aussage zu, dass je kleiner Mikroplastik ist, desto schädlicher ist es potenziell.
Wie gefährlich die kleinsten Teilchen im menschlichen Körper tatsächlich sind, dazu fehlen jedoch wichtige Erkenntnisse. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft stellt Mikroplastik, definiert als Gemisch kleinster Plastikpartikel in der Größe von 5 Millimeter bis 1 Mikrometer, ein sehr geringes Gesundheitsrisiko für den Menschen dar. „Man weiß mittlerweile, dass Mikroplastik über die Nahrung aufgenommen wird und in den Darm gelangt. Die meisten Partikel kommen aber nicht über die Darmbarriere. Es ist bisher noch nicht gelungen, einen zweifelsfreien Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Effekten und Mikroplastik zu belegen – die Aufmerksamkeit darauf ist aber sehr groß, nicht nur in der Bevölkerung, auch in der Forschung“, betonte Biochemiker Holger Sieg, Leiter der Arbeitsgruppe Mikroplastik am BfR. Partikel größer als 10 Mikrometer können nicht von Zellen aufgenommen werden, erst Partikel kleiner als 1,5 Mikrometer können die Darmbarriere so überqueren, dass sie ins Blut gelangen.
Mikroplastik
Bezeichnet winzige Kunststoffpartikel mit einer Größe von weniger als 5 mm, die heute nahezu überall in der Umwelt vorkommen. Sie entstehen entweder gezielt in kleiner Form, z. B. für Reinigungsmittel (primäres Mikroplastik) oder durch den Zerfall größerer
Kunststoffteile wie
Verpackungen oder Reifenabrieb (sekundäres Mikroplastik).
Menge
Für Schlagzeilen sorgte die Meldung, dass wir über die Nahrung bis zu einer Kreditkarte Mikroplastik – das entspricht fünf Gramm – pro Woche aufnehmen. Später stellte sich heraus, dass es sich um eine Fehlberechnung handelte. Heute geht man von ca. 4 Mikrogramm Mikroplastik pro Woche aus.
Leber als Sortiersystem
Sieg: „Man kann allerdings schlecht messen, was mit den Partikeln im Körper weiter passiert. Wenn eine Substanz die Darmbarriere quert, gelangt sie in die Leber, wo wiederum ein Sortiersystem dafür sorgt, dass nur bestimmte Stoffe in den Blutkreislauf weitergegeben werden, der Rest wird wieder ausgeschieden. Dazu gibt es keine verlässlichen in vivo Daten, nur in vitro (im Labor, Anm.) und das bildet die Natur nur in gewissen Grenzen ab.“
Es sei zwar durchaus denkbar, dass Mikroplastik im Körper Einfluss auf das Immunsystem oder auf Entzündungen haben könnte, Belege für einen kausalen Zusammenhang mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gäbe es derzeit aber nicht. „Es laufen sehr viele Studien dazu. Die Frage ist, wie viele Partikel müssten in einer Zelle sein, und kann dies dann wirklich die Gesundheit beeinträchtigen“, sagt Sieg. Zudem seien die Daten dazu, wie sehr der menschliche Körper Mikroplastik ausgesetzt ist, noch sehr ungenau und unsicher, weil standardisierte Messtechniken fehlen.
Häufig würden einzelne Studienergebnisse herausgegriffen und medial darüber berichtet – das große Ganze aber außer Acht gelassen. „Eine einzelne Studie bedeutet nicht, dass man sich große Sorgen macht. Bei der Risikobewertung spielen viele Faktoren eine Rolle, einzelne Studien können auf einer schwachen Datenlage beruhen oder rechnerische Fehler enthalten“, so Janzig.
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