Michael Musalek: Endlich Urlaub, endlich zur Ruhe kommen

Sommergespräch mit Michael Musalek
Der Urlaub ist oft mit hohen Erwartungen verbunden. Erholung ist aber nichts, das in zwei Wochen gepackt werden kann – sondern eine Form bewusster Lebenseinstellung.

Unruhige Zeiten, mein Schatz, singt Konstantin Wecker im Song „Stürmische Zeiten“ aus dem Jahr 1998. Der Text ist aktueller denn je. Ja, wir leben in unruhigen Zeiten – politisch und wirtschaftlich, aber auch in unserem Innersten. Der Mensch ist nicht nur beruflich gefordert, sondern überdies privat nonstop erreichbar sowie digital präsent. Immer. Überall. Steter Begleiter: das Smartphone, unser aller Taktgeber. Nachts liegt es neben dem Kopfkissen, viele nehmen es auf die Toilette mit oder messen ihre Schritte ins Bad. So sind wir immer „on“. 

Das Problem: Unser Gehirn ist es auch. Das Gefühl, „etwas tun zu müssen“, hat sich tief in unsere Alltagsroutinen eingegraben. Doch der Zustand ständiger Verfügbarkeit hat seinen biologischen Preis. Neurowissenschaftlich betrachtet benötigt das Gehirn nämlich Phasen der Nicht-Aufmerksamkeit, wobei das „Default Mode Network“ eine zentrale Rolle spielt. Das „Ruhezustandsnetzwerk“ ist ein System von Gehirnregionen, das bei Nicht-Aufmerksamkeit aktiv wird. Beim Tagträumen, im Halbschlaf, beim Dösen oder Spazieren. Dann reorganisiert sich das Gehirn, verarbeitet Erlebtes, verknüpft Informationen, konsolidiert Emotionen.

Zustände, die für die psychische Stabilität und langfristige kognitive Leistungsfähigkeit essenziell sind – in einer Welt, die immer schneller und komplexer wird. Dazu kommt die permanente Reizüberflutung – insbesondere durch digitale Medien – die unsere natürlichen Regenerationsprozesse unterbricht. Der Sympathikus, das aktive Stress- und Leistungssystem, bleibt überaktiviert. Dessen Gegenspieler, der Parasympathikus, kommt kaum noch zur Entfaltung. Die Folge: Ein chronisch überlastetes vegetatives Nervensystem, das langfristig zu Erschöpfung, Reizbarkeit und psychosomatischen Beschwerden führen kann. Das gilt auch – und besonders – für Kinder und Jugendliche, deren Gehirne sich noch in der Reifung befinden. Hier kann der Dauerreiz tiefgreifende Auswirkungen auf die Selbstregulation und emotionale Stabilität haben. Ruhe ist hier kein Luxus – sie ist eine entwicklungsbiologische Notwendigkeit.

Endlich Urlaub – aber wie?

Ein Trugschluss ist es, diese Defizite im Jahresurlaub und den Ferien „nachholen“ zu wollen. Der Organismus lässt sich nicht ruckzuck umschalten – von 100 auf 0. Auch in der vermeintlichen Erholung bleibt das Stresssystem aktiv. Die Antwort darauf: Aktivität. Aber anders. Wer in den ersten Urlaubstagen körperlich aktiv ist – etwa durch Spazieren, Schwimmen oder leichte Wanderungen – unterstützt den natürlichen Umschaltprozess und erleichtert dem Gehirn den Übergang in den regenerativen Modus. Echte Ruhe geschieht also nicht zufällig. Sie ist das Ergebnis bewusster Grenzziehung – gegen Tempo, gegen Komplexität, gegen den Mythos, alles gleichzeitig schaffen zu müssen. Ruhe, nicht nur im Urlaub, sondern täglich. Sie beginnt immer dann, wann wir uns entscheiden, für eine Weile nicht verfügbar zu sein.

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