Methylenblau: Warum der Hype gefährlich ist

Blaue Zungen sind seit Monaten ein Statement in den sozialen Medien. Wer sie blau verfärbt in die Kamera hält, hängt einem zweifelhaften Trend an. Verantwortlich ist der Farbstoff Methylenblau, und der wird von Influencern als vermeintliches Wundermittel hochgelobt. Es soll oxidativen Stress reduzieren, die Leistungsfähigkeit ankurbeln und Alterungsprozesse bereits auf Zellebene aufhalten. Und jene, die das in ihre Smartphone-Kameras sprechen, tun kund, dass sie sich viel vitaler und gesünder fühlen als ohne.
Wie so oft ist die unkritische Bewerbung in den sozialen Medien allerdings einseitig. „Es handelt sich um kein zugelassenes Arzneimittel, daher werden auch keine Nebenwirkungen, wie auf Beipackzetteln üblich, angeführt“, sagt Markus Zeitlinger, Klinischer Pharmakologe an der MedUni Wien. Er warnt wie andere Experten nachdrücklich vor der Verwendung aufgrund eines Internethypes und betont die Risiken. „Leider ist dieser Trend wieder einmal die Folge einer Internetblase, die sich gebildet hat.“ Viele würden glauben, ein Präparat sei besser, weil es eben kein Arzneimittel ist. „Frappanterweise ist genau das Gegenteil der Fall.“
Altes Färbemittel
Bei Methylenblau handelt es sich „um eine relativ einfache chemische Verbindung“, erklärt er. Bekannt ist sie seit mehr als 100 Jahren, und zwar als Farbstoff in der chemischen Industrie. Aber auch medizinisch hat der Stoff durchaus seinen Nutzen. „Er ist als Antidot (Gegengift, Anm.) bei bestimmten Vergiftungen zugelassen. In solchen Fällen ist die Verwendung auf ein bis zwei Anwendungen intravenös festgelegt.“ Teilweise wird es in seiner Funktion als Farbstoff auch in der Chirurgie eingesetzt, um etwa Fisteln oder auch Lymphknoten exakt zu lokalisieren und für die Operation sichtbar zu machen.
Geforscht wurde mit Methylenblau auch gegen Alzheimer. „Leider hat es sich hier als nicht wirksam erwiesen.“ Einige Studien belegten außerdem eine Wirkung gegen Malaria, allerdings nur in Kombination mit anderen Wirkstoffen.
Den Ursprung, warum dem Farbstoff nun gerade auf zellulärer Ebene solch zweifelhafter Ruhm zuteil wird, vermutet der Internist in In-vitro-Forschungen, also Studien auf Laborebene, nicht mit Menschen. Es habe einige Untersuchungen gegeben, wo sich unter anderem jene Effekte zeigten, die nun angepriesen werden, „zum Beispiel, dass Methylenblau antimikrobiell wirkt oder die Mitochondrien (Teile der DNA, Anm.) schützt. Im Menschen können die dafür nötigen Konzentrationen jedoch nicht sicher erreicht werden.“
Nebenwirkungen
Zeitlinger kritisiert, dass vor allem die Nebenwirkungsseite bei den Internet-Anpreisungen nicht erwähnt wird. „Wird es als Antidot gegeben, kann es zu Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen kommen. Auch in Kombination mit Antidepressiva können schwere Schäden am Nervensystem auftreten.“ Nicht unwesentlich hält er auch Ergebnisse aus Tierstudien. „Hier gibt es Evidenz, dass Methylenblau zu Darmkrebs führt.“ Das sollten medizinische Laien wissen. Denn: „Will ich wirklich ein Präparat täglich einnehmen, für das keine medizinische Evidenz vorliegt, das aber ein Krebsrisiko hat?“
Außerdem werde im Internet mit zwei Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht eine tägliche Dosis propagiert, die jener als Gegengift entspricht – das allerdings nur ein Mal gegeben werde. „Zu bedenken ist auch die hohe Halbwertszeit von Methylenblau.“ Das heißt, es wird nur langsam abgebaut und reichert sich im Körper an.
Ebenfalls sehr bedenklich beim aktuellen Internet-Trend: Es gibt unterschiedliche Qualitätsstufen der Chemikalie, die etwa als Pulver oder Lösung erhältlich ist. „Man kann auch Färbemittel oder Aquariumreiniger kaufen, die Produkte können sehr verunreinigt sein“, sagt Zeitlinger. Ebenso sei der Kauf über Onlineapotheken kein Sicherheitskriterium. „Auch diese Präparate sind keinesfalls für die Einnahme zugelassen.“
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