Medizin-Nobelpreis für Mary Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi

Neue Dauerausstellung im Günter Grass-Haus
Mary Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi wurden für ihre Arbeit zur "Immuntoleranz" ausgezeichnet.

Der diesjährige Nobelpreis für Medizin geht an die Immunforscher Mary Brunkow (Institute for Systems Biology, Seattle, USA), Fred Ramsdell (Sonoma Biotherapeutics, San Francisco, USA) und Shimon Sakaguchi (Osaka University, Osaka, Japan) für ihre Entdeckungen zur peripheren Immuntoleranz. Ihre Forschungen hätten bahnbrechende Erkenntnisse dazu geliefert, wie das Immunsystem unter Kontrolle gehalten wird. Sie hätten fundamentales Wissen dazu geliefert, wie das Immunsystem daran gehindert wird, den eigenen Körper anzugreifen, etwa bei Autoimmunerkrankungen, bei Krebs oder nach Organtransplantationen. Daraus entstand nicht nur ein eigenes Forschungsgebiet, sondern es konnte auch die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden vorangetrieben werden.

Zwei der drei Ausgezeichneten wissen noch nicht davon

Nur einer der Ausgezeichneten, Shimon Sakaguchi, wurde bisher erreicht. Er war beim Anruf in seinem Labor und sehr berührt. Er fühle sich sehr geehrt, den Preis zu erhalten, hieß es bei der Bekanntgabe der Preisträger. Sakaguchi war kürzlich in Wien als Keynote-Speaker beim internationalen Immunologie-Kongress zu Gast. Brunkow und Ramdsdell konnten noch nicht erreicht werden - ihnen wurde bisher nur auf die Sprachbox ihres Telefons gesprochen. 

Mary E. Brunkow, geboren 1961, promovierte an der Princeton University in den USA und arbeitet heute am Institute for Systems Biology in Seattle an der US-Westküste.
Fred Ramsdell, 64 Jahre alt und gebürtig aus dem US-Bundesstaat Illinois, promovierte an der University of California in Los Angeles und ist derzeit wissenschaftlicher Berater des Biotechnologieunternehmens Sonoma Biotherapeutics in San Francisco. Der Japaner Shimon Sakaguchi, Jahrgang 1951, promovierte 1983 an der Universität Kyoto und ist heute Professor an der Universität Osaka.

Die Preisträger wurden wie jedes Jahr am ersten Montag im Oktober um 11.30h am Karolinska-Institut in Stockholm bekannt gegeben. 

Nobelpreisträger für Medizin 2025.

Die Gewinner des Nobelpreises für Medizin 2025.

Die Entdeckung der regulatorischen T-Zellen

Shimon Sakaguchi legte in den 1990er-Jahren den Grundstein für ein neues Verständnis der Immunregulation. Er identifizierte 1995 sogenannte regulatorische T-Zellen (Tregs) – spezialisierte Immunzellen, die verhindern, dass das körpereigene Abwehrsystem gesundes Gewebe angreift. Diese Zellen fungieren als eine Art Wächter des Immunsystems und spielen eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle von Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose oder Typ-1-Diabetes. Damals waren viele Forschende überzeugt, dass Immuntoleranz, also eine stark verminderte Funktion des Immunsystems, ausschließlich dadurch entsteht, dass potenziell schädliche Immunzellen im Thymus durch einen Prozess namens zentrale Toleranz eliminiert werden.  „Im Normalfall gibt es bereits bei der Entstehung der T-Zellen im Thymus Mechanismen, die solche fehlgeleiteten Zellen aussortieren“, erklärt Wilfried Ellmeier, Leiter der Abteilung für Immunbiologie an der Medizinischen Universität Wien. „Diese Prozesse sind aber nicht hundertprozentig effizient. Deshalb verfügt das Immunsystem über zusätzliche sogenannte periphere Toleranzmechanismen.“

Sakaguchis Entdeckung der peripheren Immuntoleranz änderte diese Sichtweise.

Die periphere Toleranz sorgt dafür, dass T-Zellen, die trotz der inneren Kontrolle in den Körper gelangen und theoretisch gegen eigenes Gewebe reagieren könnten, unterdrückt oder inaktiviert werden. So schützt der Körper sich selbst vor Angriffen durch sein eigenes Abwehrsystem.

Sakaguchi konnte zeigen, dass das Immunsystem weitaus komplexer ist, und entdeckte eine bislang unbekannte Klasse von Immunzellen, die den Körper vor Autoimmunerkrankungen schützt. Tregs können Angriffe des Immunsystems auf körpereigene Zellen erkennen und beruhigen. 

Gen als Schalter für die Funktion der Tregs entdeckt

Im Jahr 2001 erweiterten Mary E. Brunkow und Fred Ramsdell, damals Forschende bei der Immunex Corporation in Seattle, diese bahnbrechende Entdeckung. Sie identifizierten das Foxp3-Gen als zentralen molekularen Schalter für die Funktion der Tregs. Untersuchungen an Mausmodellen und Patienten mit dem seltenen IPEX-Syndrom, einer schweren angeborenen Autoimmunerkrankung, zeigten, dass Mutationen in diesem Gen dazu führen, dass die Immunregulation versagt und das Immunsystem außer Kontrolle gerät.

Die drei Forschenden hätten die Grundlage für ein völlig neues Verständnis der körpereigenen Immunregulation geschaffen. Auf Basis ihrer Erkenntnisse könnten Therapien, die gezielt Immunreaktionen dämpfen oder stimulieren können entwickelt werden - so die Begründung des Kommittees.

Forschung als Basis für neue Therapien

Die Arbeiten von Brunkow, Ramsdell und Sakaguchi hätten das Verständnis des Immunsystems nachhaltig geprägt. Weltweit laufen klinische Studien, die auf regulatorischen T-Zellen basieren und neue Therapien gegen Krankheiten wie Rheumatoide Arthritis oder Typ-1-Diabetes erforschen. In der Transplantationsmedizin lassen ihre Erkenntnisse hoffen, Abstoßungsreaktionen künftig gezielter zu verhindern. Auch in der Krebsimmuntherapie eröffnen Tregs neue Möglichkeiten, indem sie genutzt werden könnten, um die Immunantwort gegen Tumore zu verstärken. 

Um das Jahr 2003 war es dann wieder Sakaguchi, der die Bedeutung der Erkenntnisse miteinander verknüpfen konnte: Er demonstrierte, dass das Foxp3-Gen zentral für die Entwicklung der von ihm 1995 identifizierten regulatorischen T-Zellen ist. Diese fungieren als eine Art Kontrollinstanz für andere Immunzellen. 

Weltweit beschäftigt sich seither eine Vielzahl an Wissenschafterinnen und Wissenschaftern mit Ansätzen zum Heben der Aktivität dieser Immunzellen im Zusammenhang mit dem Bekämpfen der vielfältigen negativen Auswirkungen eines zu aktiven Immunsystems. Den anderen Weg geht man im Zusammenhang mit Krebs-Erkrankungen, wo es oft darum geht, das Immunsystem sozusagen schärfer zu stellen - indem man die Tätigkeit der regulatorischen T-Zellen herunterfährt - damit es Tumore besser bekämpfen kann. Derzeit würden mehrere klinische Studien mit Anwendungen laufen, die auf den Erkenntnissen der heurigen Medizin-Nobelpreisträger basiere, heißt es.

Auftakt der Nobelpreiswoche

Der Verkündung des Medizin-Nobelpreises bildet den Auftakt der Nobelpreiswoche. Am 7. Oktober folgt die Bekanntgabe des Physik-Nobelpreises, am 8. Oktober der Chemie-Nobelpreis. Anschließend folgen der Literaturnobelpreis, der Friedensnobelpreis und nächste Woche der Preis für Wirtschaftswissenschaften. Die Preise gehen auf den Erfinder des Dynamits und Unternehmer Alfred Nobel zurück, der den Großteil seines Vermögens einer Stiftung vermachte. Das Gelde sollte jedes Jahr jenen zukommen, "die im vergangenen Jahr den größten Nutzen für die Menschheit erbracht haben.“  

Die Auszeichnung ist heuer mit elf Millionen Schwedischen Kronen (eine Million Euro) dotiert.

Die Verleihung der Preise findet dann am 10. Dezember, dem Todestag Nobels, in Stockholm statt. Der Friedensnobelpreis wird in Oslo, Norwegen, verliehen.  

Die Medizin-Nobelpreisträger der vergangenen Jahre

2024: Die US-Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun. Sie entdeckten die Funktion der sogenannten MicroRNA. 
2023: Die in Ungarn geborene Forscherin Katalin Karikó und der US-Amerikaner Drew Weissman erhalten den Nobelpreis für Medizin "für grundlegende Erkenntnisse in der Entwicklung der RNA-Technologie". Diese führten zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen das 2020 erstmals aufgetauchte Corona-Virus.
2022: Der in Leipzig arbeitende schwedische Forscher Svante Pääbo für seine Erkenntnisse zur Evolution des Menschen und zu dessen ausgestorbenen Verwandten. Er hat unter anderem als erster das Genom des Neandertalers sequenziert.
2021: David Julius (USA) und der im Libanon geborene Forscher Ardem Patapoutian. Sie haben Zellrezeptoren entdeckt, über die Menschen Temperaturen und Berührungen wahrnehmen.
2020: Harvey J. Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice (USA), die maßgeblich zur Entdeckung des Hepatitis-C-Virus beigetragen hatten.
2019: William Kaelin (USA), Peter Ratcliffe (Großbritannien) und Gregg Semenza (USA). Sie hatten herausgefunden, wie Zellen den Sauerstoffgehalt wahrnehmen und sich daran anpassen.
2018: Der US-Amerikaner James Allison und der Japaner Tasuku Honjo für die Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs.
2017: Die US-Forscher Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für die Erforschung der Inneren Uhr.
2016: Der Japaner Yoshinori Ohsumi, der das lebenswichtige Recycling-System in Körperzellen entschlüsselt hat.
2015: Die Chinesin Youyou Tu, die den Malaria-Wirkstoffs Artemisinin entdeckt hat. Sie teilte sich den Preis mit dem gebürtigen Iren William C. Campbell und dem Japaner Satoshi Omura, die an der Bekämpfung weiterer Parasiten gearbeitet hatten.
2014: Das norwegische Ehepaar May-Britt und Edvard Moser sowie John O'Keefe (USA/Großbritannien) für die Entdeckung eines Navis im Hirn: Sie fanden grundlegende Strukturen unseres Orientierungssinns.
2013: Thomas Südhof (gebürtig in Deutschland) sowie James Rothman (USA) und Randy Schekman (USA) für die Entdeckung von wesentlichen Transportmechanismen in Zellen.

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